Es ist ein schöner Mittwoch im Mai in Grünau. Auf dem Schoß einer kleinen, älteren Dame maunzt ein stattlicher Kater in seinem Transportkorb. Neben ihr sitzt ein junger Punker mit grünem Iro und streichelt beruhigend seinen Schäferhund. Alle vier warten gemeinsam mit anderen Patienten im Vorzimmer der Tierärztin Frau Dr. Menzel. Eine Streetworkerin bestätigt auf einer Liste die Anwesenheit mit einem Häkchen und in den Unterhaltungen werden Tipps zur Haustierhaltung ausgetauscht. Das Wartezimmer ist nicht sehr groß, aber liebevoll eingerichtet. An einer Seite steht eine Waage für die Hunde und ein Napf zum Trinken. Der Raum ist gut durchgelüftet und riecht nach frisch gemähtem Gras. Punkt 12:00 Uhr öffnen sich die Türen und ich konnte die Praxis betreten und im Wartezimmer Platz nehmen.

Die Dame mit ihrem Kater Noah fühlt sich hier willkommen und wertgeschätzt, so als ob sie sich nicht von „normalen“ Tierhaltern unterscheide. Sie zeigt ihren Überweisungsschein für Noah, den andere Tierhalter nicht benötigen. Im Behandlungszimmer wird sie von einer Studentin mit einem Lächeln empfangen. Einfühlsam und mit vielen Streicheleinheiten untersucht sie das Tier – wiegt ihn, misst seine Temperatur und tastet die Organe ab. Als Wohnungskatze erhält er seine jährliche Impfung gegen Katzenschnupfen und eine Wurmbehandlung. Für Fragen, im Umgang mit dem Tier und der Ernährung nimmt sich die Ärztin Zeit. Eine Tablette für die Wurmbehandlung gibt es für zu Hause mit. Noah hat keine Angst vorm Tierarzt. Der Behandlungsraum ist gut durchgelüftet und strahlt Ruhe aus und wirkt auf Halter und Tier entspannend.

Die Praxis von Frau Dr. Menzel ist keine gewöhnliche Praxis und ihre Patienten und Tierhalter sind es einmal im Monat auch nicht, denn die Tierärztin engagiert sich beim „Bunten Hund“. Der Verein setzt sich für Tiere ein, deren Halter obdachlos, suchtkrank, psychisch krank oder bedürftig sind und sich somit keinen Tierarztbesuch leisten können. Er bietet eine kostenlose tierärztliche Grundversorgung an. Ein Streetworker oder Sozialarbeiter stellt einen Überweisungsschein aus und meldet das Tier mit seinem Besitzer an.

An den Sprechstunden nimmt immer ein Studierender der Veterinärmedizin mit teil, der die Temperatur misst, das Tier mit untersucht, wiegt und gegebenenfalls Spritzen setzt. Die angehenden Tierärzte bekommen so einen Einblick in ihren zukünftigen Arbeitsalltag, können viel für ihr Studium mitnehmen und lernen. Sie machen das ehrenamtlich. Vom ersten bis dritten Studienjahr lernen die jungen Veterinäre nur Theorie und erst danach kommt die Praxis. Dort wird jedoch gleich verlangt, dass die Studenten ihr theoretisches Wissen anwenden können. Indem die Studenten die Tierärzte in der Sprechstunde unterstützen, lernen sie erste Handgriffe, Untersuchungen, Anamnesefragen und Impfungen zu geben. Die Tierärzte stellen ihre Räume und ihre Arbeitskraft kostenlos zur Verfügung. Denn eine Sprechstunde würde normalerweise 150,- bis 250,- Euro kosten – Geld, das kein Mensch ohne Obdach aufbringen könnte.

Von den circa 50 Tierarztpraxen in Leipzig sind heute fünf über den Verein „Bunter Hund“ in verschiedenen Stadtteilen tätig. Bei der Gründung waren es sechs Tierärzte. Eine Praxis ist ausgestiegen und beteiligt sich nun an anderen sozialen Projekten. 2010 traten zwei Studenten der Veterinärmedizin aus Dortmund an die Tierärzteschaft in Leipzig heran, da sie ein ähnliches Projekt aus ihrer Heimatstadt kannten. Sie meinten, dass es in einer Großstadt wie Leipzig auch immer Menschen gibt, die bedürftig sind. Vorher hatten sie sich eine Genehmigung von der Tierärztekammer eingeholt, denn arbeitet ein Tierarzt aus eigenem Ermessen kostenlos, verstößt er gegen die Gebührenordnung. Das kann ein Dienstverbot nach sich ziehen. Deshalb war eine gute Vorbereitung notwendig. Das Klientel musste klar definiert werden, um anderen Tierärzten keine Patienten weg zu nehmen. Gegründet wurde der Verein schließlich im April 2011. „Zur Gründungsversammlung kamen 90 – 100 Leute. So viele kamen später zu keiner Versammlung mehr.“ erzählt Frau Dr. Menzel, als Gründungsmitglied des Vereins. „Am Anfang gab es ein ernsthaftes Problem mit manchen Drogenabhängigen. Sie züchteten mit ihren Hunden, um die Welpen zu verkaufen und mit ihnen zu betteln. Damit wurde der Konsum finanziert. Veterinäramt und Tierärzte versuchten dem mit einem Kastrationsprojekt mit der Universität entgegenzuwirken, um die Hunde mit Einwilligung der Tierbesitzer zu kastrieren. Die Studenten haben die Möglichkeit bekommen, praktische Erfahrungen zu sammeln. Das ging nur zwei Jahrgänge, dann waren alle Hunde mit Einwilligung kastriert und das Projekt wurde dann eingestellt.“

Tierärzte vom Verein „Bunter Hund“

Heute geht es hauptsächlich um eine Grund- oder Notfallversorgung der Tiere. Die Aufgabe des Vereins ist es, Gelder zu sammeln, sodass Medikamente und Material vorrätig sind, damit der „Bunte Hund“ weiter existieren kann. Der ehrenamtlich tätige Verein wird über Mitgliedsbeiträge, welche bei 25€ im Monat beginnen, und Spenden finanziert. Aktuell unterstützen circa 70 Mitglieder den Verein. „Durch Corona ist es weniger geworden.“, meint Frau Dr. Menzel, „Wenn sich alles wieder normalisiert, wird es wieder zunehmen.“


Die Studenten des Vorstands organisieren mehrmals im Jahr Spendenaktionen, um die Medikamente für die Sprechstunde abzusichern. Dabei sind sie sehr kreativ und sammeln bei Festen der Fakultät, bei Hundeausstellungen aber auch bei thematischen Partys zum Beispiel im TV-Club der Fakultät.
Zusätzlich bewerben sie sich bei der Ausschreibung von Tierschutzpreisen und haben schon
mehrmals größere Summen für den Verein gewonnen. So auch bei der Ausschreibung der englischen
Firma Dechra, deren tierärztliche Außendienstmitarbeiterin Dr. Bianca Baumbach in Leipzig auf den
Verein aufmerksam wurde und den studentischen Vorstand ermutigte, sich um den Preis zu
bewerben. https://bunterhund-leipzig.de/wp-content/uploads/2019/03/Tierschutzpreis-f%C3%BCr-Bunten-Hund-Leipzig-e.V.-5.3.2019.pdf

Alle zwei Jahre wird ein neuer Vorstand gewählt. Spätestens alle vier Jahre wird der Vorstand neu gewählt. Die Studenten müssen für eigenen Nachwuchs sorgen. Die Gründungsmitglieder sind mittlerweile ausgelernte Tierärzte und somit nicht mehr im Verein. Ein ehemaliger Student hat allerdings die Praxis seines Vaters übernommen und ist weiter für den “ Bunten Hund “ aktiv. Im ersten Studienjahr kommen interessierte Studierende im Verein an, im zweiten und dritten bringen sie sich im Vorstand mit ein, bis ihr Studium abgeschlossen ist. So müssen immer wieder neue Aktive gefunden werden. Sie übernehmen die nicht leichte Aufgabe der Leitungstätigkeit und Organisation. Sie sind dann höchstens zwei Jahre im Verein. Das ist immer wieder eine große Herausforderung. Aufgrund der Pandemie wurde die Arbeit des Vereins erschwert. Die Studenten waren nicht in Leipzig, da die Universitäten mitunter geschlossen waren und diese daher Homeoffice aus der Heimat ausübten. Auch untereinander hatten sie nicht so viele Kontakte. Alles lief digital ab. Auch Spendengelder waren nicht so einfach zu bekommen.

Über die Jahre haben die Studenten ein System erarbeitet, dass fünf Patienten in die Sprechstunden kommen dürfen und fünf freie Plätze zur Verfügung stehen. So sind es maximal zehn Tierhalter mit ihren Tieren, die pro Woche behandelt werden können. „Es braucht mehr Zeit, zu diskutieren. Es muss nach Möglichkeiten geschaut werden, wo die Hundehalter mit ihren Tieren zum Beispiel ein Fußbad machen können. Das geht nicht auf der Straße. Den Tierhaltern muss mehr erklärt werden. Wenn zum Beispiel Hunde aus Versehen Drogen von ihren Besitzern gefressen haben, dann muss man das erstmal rausfinden.“, erzählt Frau Dr. Menzel. Mittwoch ist eine planbare Sprechstunde, in der Impfungen gesetzt, Erkältungen behandelt, Wurmkuren, Floh – und Zeckenschutz verabreicht werden. Eine Impfung plus Wurmbehandlung für einen Hund kostet 100, – Euro, was für die Betroffenen viel Geld ist. Die Tierärzte führen auch zunehmend für den Verein Operationen durch. Für die Studenten ist das ebenfalls sehr hilfreich, da sie so auch in diesem Bereich erste Erfahrungen sammeln können. Die Operationen werden im praxiseigenen OP – Plan integriert. Bei Kastrationen werden die Tierhalter finanziell mit herangezogen. „Wir haben eine Praxis, die das Tierheim mitversorgt. Da sind Tierärzte tätig, die sozial sehr engagiert sind. Die Tierarztpraxen selbst verdienen damit kein Geld.“ erzählt Frau Dr. Menzel. „Langjährige Tierhalter kommen oft wieder zur selben Praxis, denn die Tierärzte kennen die Tiere dann schon. Über Intranet kommunizieren wir fünf Tierarztpraxen und tauschen uns über die nötigen Behandlungen aus. So kann zum Beispiel bei einer Nachbehandlung das Tier auch zu einem anderen Tierarzt über den „Bunten Hund“ gehen. Gemäß dem Datenschutz können aber nur die Vereinspraxen auf die vertraulichen Informationen zugreifen.“

Vereinsmitglieder und Studentinnen der Veterinärmedizin

Dringende Fälle werden von der diensthabenden Praxis jeweils für eine Woche abgedeckt. So ist der Notfalldienst abgesichert. Der Tierhalter braucht einen Überweisungsschein vom Sozialarbeiter, der auch gefaxt werden kann. Das gibt den Tierhaltern Sicherheit, dass sie auch an den anderen Tagen Hilfe bekommen, wenn zum Beispiel ein Hund in eine Scherbe hineintritt. „Das passiert Hunden von Wohnungslosen und auch Hunden von Nichtwohnungslosen. Wohnungslose Menschen leben unter Brücken, in Gartenlauben und Abrisshäusern, sodass sie ihre Tiere bei sich haben können. Sie geben ihnen Trost, Sicherheit und auch die Aufgabe, sich um die Tiere zu kümmern. Das Tier ist ihnen eine wichtige Stütze. Allerdings sind in Übernachtungsheimen Tiere eben verboten.“ Die Dringlichkeit, Tiere von wohnungslosen oder bedürftigen Menschen zu versorgen, ist in den letzten Jahren nicht weniger geworden. Soziale Faktoren kann der Verein nicht ändern oder beeinflussen. Da ist die Politik gefragt, um diese Menschen aufzufangen und ihnen eine Perspektive für ihr Leben zu geben. Die Studenten, Tierärzte und Sozialarbeiter arbeiten zusammen zum Wohle für die Schwachen in der Gesellschaft. Das so viele Institutionen zusammenwirken, ist in Leipzig einmalig. Sie üben ein soziales Engagement aus, um den Tieren ein gutes Leben zu ermöglichen und den Tierhaltern zu helfen, in Zukunft selbst für sich und ihre Tiere sorgen zu können. Frau Dr. Menzel hat es selbst persönlich mehrmals erlebt, dass die Tierhalter sich aus dem Verein herausnehmen lassen konnten und als reguläre Tierhalter weiter in die Praxis kommen und die Arztkosten selbst bezahlen.

Mann mit Hund im Park

Ist ein Tier chronisch krank und braucht Dauermedikamente, wird eine Patenschaft gesucht, welche die Kosten übernimmt. Zurzeit sind alle Fälle abgedeckt. Die Unterstützung kommt aus der Bevölkerung oder dem Bekanntenkreis der Tierhalter. Dabei handelt es sich meist um kostenaufwendige Herz-, Epilepsie- und Schmerzmedikamente. Auch ältere Tiere benötigen manchmal eine Patenschaft. Wenn ein Medikament sehr teuer ist, werden auch mehrere Paten für ein Tier gesucht. Die Tierhalter bedanken sich bei Frau Dr. Menzel mit Plüschtieren und selbstgehäkelten Tierchen. „Besonders in Erinnerung geblieben ist mir ein Tierhalter, der einen Hund neu übernommen hat. Das war ein Schäferhund, der schlimme Ohren und schlimme Haut hatte. Er hätte dem Tier nicht helfen können, da er nicht die Möglichkeiten hatte, die nötigen Behandlungen selbst durchzuführen. Der Hund hat niemanden an sich herangelassen. Ihm tat alles weh. Er hat das Tier dem Tierheim übergeben und hat somit keine Ansprüche an dem Hund. Die Stadt übernimmt alle Behandlungskosten und die Pflege. Der Tierhalter hat es aus Liebe zu diesem Tier getan. Er hat Größe und Stärke gezeigt und seine Verantwortung dem Tier gegenüber wahrgenommen. Das hat mich sehr beeindruckt.“

Frau Dr. Menzel hat zum Jahreswechsel 2021/2022 ihre Tierarztpraxis „Am Kirschberg“ an die Kollegin Frau Kathleen Frohberg übergeben. Im Verein „Bunter Hund“ ist sie aber weiterhin aktiv und übernimmt aller fünf Wochen einen ehrenamtlichen Dienst. Die Praxis am Kirschberg nimmt ab 2023 auch wieder Schülerpraktikanten an, um ihnen einen Einblick in ihre Arbeit zu geben und die Schüler und Schülerinnen in ihrer Berufsfindung zu unterstützen.

Frau Dr. Menzel hat verschiedene junge Hunde auf eine Ausbildung zum Blindenführhund vorbereitet. Das hat viel Zeit in Anspruch genommen, da die Hunde speziell sozialisiert werden müssen. Sie lernen Grundkommandos zu beherrschen, über verschiedene Untergründe zu laufen, zum Beispiel Lattenroste und Gitter. Diese Dinge müssen frühzeitig eingeübt werden, da die Hunde Stressbelastungen gut aushalten können müssen. Nächstes Jahr übernimmt sie nochmal einen jungen Hund, um ihn vorzubereiten. Für die nächsten zehn Jahre wünscht sie sich, dass der Verein „Bunter Hund“ weiterbesteht, dass immer neue Studierende sich einbringen und dass sie selbst dem Verein noch lange erhalten bleibt. „Vielleicht finde ich selbst noch einen Tierarzt, der meine Arbeit weiterführt“.

Die teilnehmenden Praxen sind:

Am Kirschberg ( Frau Dr. Menzel )Karlsruher Str. 29 in 04209 Leipzig
Haupt & RegensburgerPrießnitzstr. 35 in 04179 Leipzig
Dr. JähnigWaldbaurstr. 2b in 04347 Leipzig
Dr. CullisAm Alten Flugfeld 6 in 04158 Leipzig
Dr. Zimmermann – KuhnFunkenburgstr. 2 in 04105 Leipzig
Email: info@bunterhund-leipzig.de
Telefon:0341 4205777
Internet:https://bunterhund-leipzig.de/

Hinterlasse eine Antwort

Deine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.