Ein großer Graffiti-Fleck in Plagwitz in der Nähe des G16-„legal wall“ ist seit März 2022 mit Graffiti des Autors Pers versehen, die sich auf den russisch-ukrainischen Krieg beziehen.

„Baby Putin“, Leipzig, G16 Graffiti Spot auf Plagwitz. Autor: Pers

Pers sagt über diese Zeichnung: „Das Werk ‚Baby Putin‘ veranschaulicht, dass Putin sich wie ein Kind verhält, dem man die Süßigkeiten weggenommen hat. Er hat einen winzigen Panzer und eine Rakete, seine Krone ist mit kleinen Erdkugeln geschmückt.“ Seit dem Beginn des russischen Krieges in der Ukraine wurden weltweit viele Wandbilder und Graffitis zur Unterstützung der Ukraine gemalt. In Leipzig, sagt Pers, gibt es davon nicht viele. „Außer mir malen vielleicht noch ein paar andere Leute großformatige Werke. Meistens sind es Aufkleber, Inschriften, etwas Kleines“. Aber gelegentlich gibt es auch sehr treffende Zeichnungen, die im Genre der politischen Karikatur entstanden sind und die Solidarität mit dem angegriffenen Land und die Abneigung gegen den russischen Diktator zum Ausdruck bringen.

Leipzig, Connewitz. Autor nicht gefunden, Foto aufgenommen im Dezember 2022.

Während des Krieges wurde die Ukraine von Straßenkünstlern wie Banksy, dem vielleicht berühmtesten zeitgenössischen Vertreter dieses Genres, und dem Franzosen Christian Guemy (C215) besucht. Banksy hinterließ zwei Graffitis in Borodyanka in der Region Kyjiw – eine Turnerin, die inmitten von Ruinen einen Stand-up macht, und einen kleinen Jungen im Judoanzug, der einen erwachsenen Mann auf den Rücken wirft. Das zweite Graffiti könnte eine Anspielung auf Putins Judotraining sein. Die ukrainische Staatspost gab auf der Grundlage des zweiten Werks eine Briefmarke heraus. Beide Graffitis wurden schließlich mit Schutzglas abgedeckt, denn bei einem wurde sogar versucht, es zu stehlen. Christian Guemy, der Meister der Schablonenporträts, war schon mehrmals in der Ukraine und hat Lwiw, Schytomyr und die Region Kyjiw besucht. Er hat nicht nur mehrere Wandbilder gemalt, sondern auch Zeichnungen auf zerstörten Gebäuden und sogar in einem Schützengraben.

Aber wenn die großen ukrainischen und internationalen Medien über berühmte Künstler schreiben, wie erleben dann die lokalen Straßenkünstler, die in der Ukraine geblieben sind, den Krieg?

Im Vergleich zu Deutschland war Ukrainische Straßenkunst und Graffiti lange Zeit relativ unpolitisch. Im Jahr 2014, vor dem Hintergrund des Maidan und des Ausbruchs des Krieges mit Russland, kam es zu einer Welle patriotischer und politischer Straßenkunst. Daraus entstanden Wandbilder, die den nationalen Kampf und die kulturellen, wissenschaftlichen und sportlichen Errungenschaften der Ukraine thematisierten. Doch im Laufe der Zeit, als die Schärfe des Konflikts im Osten des Landes nachließ, wichen die lebhaften patriotischen Motive der vertrauten subkulturellen Kunst. Das änderte sich im Februar 2022 erneut. Als die neue Phase der russischen Invasion begann, legten die Straßenkünstler ihre Kreativität zunächst auf Eis. Jetzt brauchte das Land sie in anderen Bereichen. Um die Armee zu unterstützen, halfen viele Graffitikünstler, Militärfahrzeuge und Waffen professionell zu tarnen. Einige Kunstschaffender haben es sich zur Aufgabe gemacht, aus Patronenhülsen und verbrauchten Artilleriekartuschen Kunstobjekte zu schaffen. Unter ihnen sind viele Street Art und Graffitikünstler. Sie gestalten diese Objekte in ihrem eigenen unverwechselbaren Stil.

Im Laufe der Zeit haben die Straßenkünstler erkannt, dass ihre Aufgabe nun darin besteht, die Ukrainer psychologisch zu unterstützen, indem sie über ihrer Kunst die Themen des Krieges reflektieren, Ausländer über den Krieg informieren und die Armee unterstützen. Natürlich sind alle ukrainischen Kreativer mit diesen Aufgaben konfrontiert, aber gerade die Straßenmaler haben den öffentlichen Raum, den sie als Leinwand für ihren Ausdruck nützen können. Innerhalb weniger Monate nach Ausbruch des Krieges waren die Straßen voll mit Graffiti, Aufklebern und Plakaten zum Thema Krieg. In verschiedenen Städten wurden große Graffiti zur Unterstützung des Regiments Asow und der belagerten Städte gemalt.

In Vergleich zum Westeuropa, hat sich die Funktion von Straßenkunst in der Ukraine verändert:

  1. Gedenkstraßenkunst und Graffiti zu Ehren der Kriegsopfer

Dnipro, Damm. Autor: Mike White

Ein Beispiel für solche Straßenkunst ist das denkwürdige Graffiti, das der lokale Straßenkünstler Mike White (@bombi_streetart) im März 2022 in Dnipro schuf. Am Abend des ersten Tages der Invasion näherten sich drei russische Schiffe der ukrainischen Schlangeninsel, umzingelten die Garnison und forderten die Kapitulation. Doch einer der Grenzsoldaten antwortete mit einem kühnen, plumpen Satz, der während des Krieges sehr populär wurde: „Russisches Kriegsschiff, f*ckt euch“. Zunächst berichteten die ukrainischen Medien, dass alle 13 Verteidiger der Insel getötet wurden, doch Ende März wurde bekannt, dass nicht alle starben und dass die Gefangenen anschließend ausgetauscht wurden. Interessanterweise stellt das Graffiti die Situation zu Beginn des Krieges dar – ein Blutstropfen ist auf jeden der Grenzsoldaten gezeichnet. Gleichzeitig prophezeite der Autor jedoch den zukünftigen Verlust des Flaggschiffs der russischen Schwarzmeerflotte, des Kreuzers Moskwa, der in der Tat das „russische Schiff“ war, das sich der Schlangeninsel näherte. Dies geschah jedoch erst am 14. April 2022. Solche Graffiti können als Denkmäler der Zeit betrachtet werden, die Teil der Legendenbildung sind und ein Stück Geschichte für die Zukunft bewahren.

Dnipro, Mitte. Autor: BRKN

Ein weiteres Gedenkzeichen in Dnipro ist ein an der Wand montiertes Straßenobjekt des Graffitikünstlers BRKN. Es handelt sich um einen Engel, der aus den Trümmern eines teilweise zerstörten Hauses im Stadtteil „Pobeda“ aufsteigt, wo am 14. Januar 2023 bei einem russischen Raketeneinschlag 46 Menschen getötet und 80 verletzt wurden.

2. Positive Straßenkunst, welche die Ukrainer moralisch unterstützt

„Kulturtrupp“ ist eine Einheit, die aus Kunstschaffenden besteht und sich hauptsächlich mit der kulturellen und psychologischen Unterstützung des ukrainischen Militärs beschäftigt. „Kulturwände“ ist ein separates Projekt von „Kulturtrupp“, das bunte patriotische Wandmalereien und Graffiti schafft. Die Philosophie des Projekts besagt, dass „zerstörte Gebäude ein negatives Bild vermitteln, während bemalte Wände das Bild vor unseren Augen aktualisieren und die Moral der Bewohner der befreiten Gebiete aufhellen“. Das Team reist deswegen in befreite Städte und Dörfer, wo Musiker von „Kulturtrupp“ regelmäßig Konzerte in Krankenhäusern und Luftschutzbunkern geben, Schriftsteller Lesungen veranstalten und Straßenkünstler aus Charkiw, Kiew, Odessa und Riwne Werke in einem lokalen Kontext schaffen. Sie arbeiten sehr intensiv – im befreiten Cherson zum Beispiel malten sie 34 Bilder in zweieinhalb Tagen.

Einer der Teilnehmer an den „Kulturwänden“ ist Denys LBWS aus Odessa, der schon lange vor seiner Teilnahme an dem Projekt „patriotische Katzen“ in seiner Heimatstadt gezeichnet hat. Warum hat er Katzen als Motiv gewählt? Weil die Soldaten der ukrainischen Armee oft als „Katzen“ bezeichnet werden. Während des Krieges halfen Katzen bei der Bekämpfung von Mäusen und Ratten in den Schützengräben und Unterständen, die Soldaten kümmerten sich um sie und manchmal wurden Armeekatzen zu Maskottchen. In der Ukraine gibt es die Tradition, eine Katze bei der Einweihung eines neuen Hauses zuerst einzulassen. So stehen für Denys LBWS und viele Ukrainer die Katzen als Symbol für die ukrainische Armee. „Kulturtrupp“ schreibt in seinen Berichten, dass seine Zeichnungen in den befreiten Städten oft als ersten zu sehen waren. Im Herbst 2022 besuchten „Kulturwände“ nach einer Expedition in die befreiten Städte und Dörfer auch Charkiw, das im Krieg stark gelitten hatte.

Charkiw. „Welches MARVEL? Es gibt die ukrainische Armee“. Autor: Denys LBWS, „Kulturtrupp“

Charkiw. „Es gibt Hoffnung, und das bedeutet, dass es einen Sieg geben wird!“ Autor: Denys LBWS, „Kulturtrupp“

Kontext: Auf einem berühmten Foto eines ukrainischen Soldaten in einem Militärkrankenhaus, das der Presseoffizier des Regiments Asow, Dmytro Kazatsky, während der Belagerung des Werks Azovstal aufgenommen hat, ist als eine Katze abgebildet.

Victoria Kalashnik (Ms. Chestnut), eine hauseigene Künstlerin, erzählt, wie die „Kulturwänden“ beschlossen hat, nach Charkiw zu gehen.

Charkiw. Autorin: Victoria Kalashnik, „Kulturtrupp“

„Es gab viele Explosionen in Charkiw, viele zerbrochene Fenster, die mit Spanplatten verkleidet werden mussten. Dann dachten wir, dass es Fenster geben sollte, und zwar nicht irgendwelche Fenster, sondern Buntglasfenster. Jedes meiner Buntglasfenster ist eine andere Geschichte. Es ist, als ob sie aus biblischen Legenden stammen, aber jede Geschichte handelt von Ukrainern. Davor sind wir durch die befreiten Gebiete gereist, haben viel mit Menschen gesprochen, die die Besatzung überlebt haben. Wir hörten Horrorgeschichten, aber sie waren auch inspirierend, zum Beispiel, wie die Menschen für das ganze Dorf kochten und alle zwei Wochen Wasser für alle aus dem letzten verbliebenen Brunnen förderten. Die Menschen machten gemeinsame Sache, versorgten die Bedürftigen und das Militär. Eine Frau erzählte mir, dass sie und ihr Mann noch nie in ihrem Leben Brot gebacken hatten, sie mussten nach Informationen suchen, wie man das macht, wie man einen Ofen baut. So wurde diese Illustration geboren.“

Charkiw. Autorin: Victoria Kalashnik, „Kulturtrupp“

„Die Illustration über den Soldaten und die schwangere Frau entstand aus einer sehr einfachen Idee heraus. Viele Frauen warten darauf, dass ihre Männer nach Hause kommen. Manche Männer haben ihre neugeborenen Kinder noch nie gesehen. Auf dem Bild wird das Paar von Engeln beschützt.“

Charkiw. Autorin: Victoria Kalashnik, „Kulturtrupp“

„Ich habe Geschichten über das Freiwilligenkorps gezeichnet, die durch das Land reisen und das Zerstörte wieder aufbauen. Über Kinder und Studenten, die in einem Bunker lernen müssen. Es gibt Zeichnungen über Bauern und Gemeindearbeiter, die trotz Minen und Beschuss weiterarbeiten.“

Eine spezielle Form der Straßenkunst ist das symbolische Amulett namens Motanka. Es ist ein Projekt der Straßenkünstlerinnen Michelle und Nicole Feldman. Eine Motanka ist eine traditionelle ukrainische Knotenpuppe aus Stoff. Anstelle eines Gesichts hat sie meist gekreuzte farbige Fäden. Die Feldman-Schwestern haben eine Reihe von Wandinstallationen mit Motankas presentiert.

Dnipro, Motanka. Autorinnen: Michelle und Nicole Feldman

– Motanka ist ein ukrainisches volkstümliches Amulett, das über den Hauseingang gehängt wird, damit die falschen Leute nicht eintreten, – erklären die Schwestern. Sie haben solche Amuletten in Kyjiw, Dnipro und Lwiw ausgestellt.

3. Straßenkunst, um symbolisch zu markieren, dass dieser Ort zur Ukraine gehört

Zu den Werken der „Kulturwänden“ gehören nicht nur typische Wandmalereien und Graffiti. In Cherson zum Beispiel wurde eine teilweise zerstörte Wand so bearbeitet, dass durch zerstörte Mauerputz der Umriss der Ukraine entstande. Die Künstler erforschen die visuellen Auswirkungen der Besatzung auf die Städte und versuchen, sie zu überwinden. In Cherson, wo das Plakat der Besatzer „Russland ist für immer hier“ steht, übermalt ein ukrainisches Mädchen einen Adler aus dem russischen Wappen an die Wand und schreibt: „Russland ist nie hier“. In Kupiansk wurden dem russischen Namen der Stadt auf dem Ortseingangsschild ein Apostroph hinzugefügt. Dieses Apostroph ist ein spezifisches Schriftsymbol für die ukrainische Sprache, es wird als ein Weichheitszeichen zugefügt, um die Schrift vom Russischen ins Ukrainische zu ändern und so die Zugehörigkeit der Stadt zur Ukraine anzuzeigen. Es ist einem der Symbole der ukrainischen Kultur geworden.

4. Persönliche Reflexion über den Krieg

Gamlet Zinkivskyi, einer der berühmtesten Straßenkünstler von Charkiw, trat dem Bataillon „Chartija“ als Freiwilliger bei. Es wurde jedoch schnell klar, dass sein Beitrag für das Land und die Militäreinheit als Straßenkünstler sinnvoller wäre. Er begann, neue Werke zu schaffen, in denen er den Krieg und die Schäden in Charkiw reflektierte und schuf Straßenkunst direkt an den Orten der Zerstörung.

Charkiw. Gemalte Spuren von Artilleriebeschuss und die Aufschrift “ Der Angreifer hat seine eigenen Blumen, Streubomben“. Autor: Gamlet Zinkivskyi.

In der Nähe der Einschlagstellen auf dem Pflaster erschienen seine Inschriften „Blume des Todes“, „Warum eine solche Blume?“

Charkiw. „Die ukrainische Stickerei ist jetzt ein Tarnnetz“. Autor: Gamlet Zinkivskyi.

Charkiw. „Kreislauf des Guten“. Zeichnung mit Silhouetten von Freiwilligen mit Heiligenscheinen. Autor: Gamlet Zinkivskyi.

Das neue Werk von Gamlet Zinkivskyi ist nicht nur sozial, sondern auch psychologisch.

Charkiw. „Ich erinnere mich an ruhige Nächte… Sie werden noch kommen!“. Autor: Gamlet Zinkivskyi.

Charkiw. „Der Krieg stiehlt viel Zeit und Gelegenheit“ und „Der Krieg gibt viel Zeit und Gelegenheit“. Autor: Gamlet Zinkivskyi.

Charkiw. „Ein Bleistift der beängstigenden Realität“ „22Н“. Autor: Gamlet Zinkivskyi.

Das lange Objekt, das die Muschel hinterlassen hat, trägt nun die Aufschrift „Ein Bleistift der beängstigenden Realität“ und eine Härte von 22H, was gleichzeitig das Jahr 2022 und eine Härte von 22 Сharkiw bedeuten könnte, denn sowohl der Buchstabe als auch der umgangssprachliche Name der Stadt klingen wie die Silbe „cha“.

Gamlet Zinkivskyi arbeitet nicht nur in Charkow, sondern auch in Städten, die von der Besatzung befreit wurden, wie Izyum.

Izyum. “ Izyum ist eine Stadt mit echten Emotionen“. Autor: Gamlet Zinkivskyi.

Izyum. „Zerbrochen, aber unverwüstlich“. Autor: Gamlet Zinkivskyi.

Dmytro Direct ist ein Graffitikünstler aus Charkiw. Im Rahmen des Projekts „Kulturwände“ malte er gelbe und blaue Namen von Siedlungen und Charakteren.

Izyum. Autor: Dmytro Direct

In Izyum malte er im Oktober 2022 einen Kosaken mit der Inschrift „Izyum“ auf das fast zerstörte, brennende Gebäude der Stadtverwaltung, doch der Schriftzug wurde später zerstört. Dann kam er wieder in die Stadt und malte ein weiteres Graffiti an dieselbe Wand, aber viel höher.

Dmytro Direct spricht über seinen künstlerischen Weg nach dem 24. Februar 2022.

„Etwa vier Monate lang hatte ich keine Zeit zum Zeichnen. Zunächst war ich im Westen von der Ukraine und fertigte „Kikimoras“ (Tarnanzüge für den Krieg) an, die ich bemalte. Meine Schwester stand in Kontakt mit Kolya Serga (dem Organisator von „Kulturtrupp“) und es ergab sich, dass das Projekt Künstler brauchte. Sobald die Gebiete geräumt waren, machten wir uns sofort auf den Weg und ich begann nach einer langen Pause mit dem Malen. Ich dachte, dass Graffiti jetzt einen Beitrag leisten könnte. Es ist schön, dass verschiedene Künstler aus verschiedenen Teilen der Ukraine zusammengekommen sind. Und dadurch sind neue Bekanntschaften und gemeinsame Projekte entstanden. Als ich 2006 mit dem Malen anfing, habe ich die Arbeit der Jungs von der LBWS Crew (Odessa) verfolgt und jetzt malen wir zusammen, was sehr cool ist.“

Dmytro Direct bezieht bei seinen Graffiti die Anwohner in die Malerei ein, besonders die Kinder.

Izyum. Der ukrainische Soldat malt zusammen mit einem Kind

„Es ist eher etwas für Kinder. Für die Kinder in den enteigneten Gebieten ist das etwas Neues, sie können sich auf diese Weise vom Krieg ablenken. Ich gebe unser Magazin über Charkiw-Graffiti an die Aktiven weiter – vielleicht fangen sie mit der Zeit auch an zu malen und wir werden mehr als nur eine gemeinsame Arbeit mit ihnen machen. Die Menschen freuen sich, neue Farben in den befreiten Gebieten zu sehen. Es ist schon toll, mit Eltern und Kindern zu sprechen.“

Laut Dmytro Direct ist das Wichtigste an dem Projekt „Kulturwände“ die Präsenz ukrainischer Künstler an unbesetzten Orten.

„Wenn man diese Orte nimmt, geht es mehr um Schriftarten und den Namen der Stadt. Bei Graffiti geht es um Schriftarten, also sind die blauen und gelben Farben in unseren Pixeln (eine Art von Tarnung, die von der ukrainischen Armee verwendet wird) ein Teil unserer Präsenz. Ein Zeichen dafür, dass diese Stadt jetzt nicht mehr besetzt ist.“

In Charkiw hat Dmytro Direct Bilder von „hingerichteten Kobsaren“ auf Spanplatten erstellt. Dabei handelt es sich um ein Projekt zum Gedenken an die kulturellen Persönlichkeiten, die in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts in Charkiw unterdrückt wurden.

Charkiw. Die „hingerichteten Kobsaren“. Autor: Dmytro Direct

Einigen ukrainischen Historikern zufolge (für die Legende wurden bisher keine Belege gefunden) fand damals der sogenannte „Kongress der Volkssänger der Sowjetukraine“ statt, der von den staatlichen Behörden der UdSSR initiiert wurde. Nachdem sich die Volkssänger in Charkiw versammelt hatten, wurden sie jedoch abgeführt und außerhalb der Stadt erschossen.

Um die Bedeutung dieser Geschichte zu verstehen, muss man den historischen Kontext kennen. Vom 15. bis zum 16. Jahrhundert verbreitete sich die Leier auf Rädern als bekanntes Musikinstrument in den heutigen ukrainischen Gebieten. Die Leiermusiker sangen religiöse, satirische und historische Lieder zur Begleitung. Bandura- und Kobsaspieler sangen historische Lieder und Dumas. Duma ist ein lyrisch-epische Werk der ukrainischen mündlichen Literatur über die Ereignisse aus dem Leben der Kosaken des 16-18. Jahrhunderts. Oft waren die Leiermusiker blind und wurden von einem sehenden Führer begleitet. Unter der Sowjetregierung wurde die Institution der Leiermusik und der Kosaken, als die wichtigen Symbole der ukrainischen Kultur, fast zerstört. Die Musiker wurden des Bettelns beschuldigt und die Sowjetregierung behauptete, dass die Leier-, Bandura- und Kobsaspieler  „klassenfeindliche Instrumente“ spielen. In der Ukraine und andere Sowjetrepubliken wurden Nationalidentitäte unterdrückt.

Charkiw. Die „hingerichteten Kobsaren“. Autor: Dmytro Direct

„Dieses Projekt wurde ins Leben gerufen, damit die Menschen verstehen, dass die Versuche, unsere Kultur zu zerstören, nicht am 24. Februar 2022 begonnen haben. Es hat sich durch unsere gesamte Geschichte gezogen. Für mich wird es keinen anderen Krieg geben. Dies ist die letzte Schlacht, die wir gewinnen müssen, um unsere Kultur nicht zerstören zu lassen.“

Dmytro Direct malt weiterhin in seiner Freizeit.

„Wenn sich die Gelegenheit bietet, in befreiten Städten zu malen, werde ich an der kulturellen Front arbeiten. Ich denke an die nächsten Reisen, an Treffen mit Freunden im Ausland. Ich möchte auch größere Wandbilder mit aufwändigeren Themen schaffen, die bestimmte Bedeutungen haben, aber die Stadt nicht zu stark belasten.“

Wie sieht die unmittelbare Zukunft der ukrainischen Straßenkunst und Graffiti aus? Dmytro Direct glaubt, dass die ukrainische Straßenkunst jetzt in zwei kulturelle Fronten aufgeteilt ist.

„Es gibt Künstlerinnen und Künstler, die im Land geblieben sind, und solche, die jetzt im Ausland leben. Erstere arbeiten in den enteigneten Gebieten oder in anderen Städten an Wandmalereien und Projekten, weil sie die visuelle Präsenz der ukrainischen Kunst brauchen. Wenn die Soldaten der ukrainischen Armee an den Zeichnungen vorbeikommen, hilft ihnen das mental, ebenso wie den Zivilisten, die wissen, dass wir für sie da sind. Diejenigen, die im Ausland sind, haben die Möglichkeit, sich auf der Weltbühne zu verwirklichen und mit ihren Werken auf unseren Staat aufmerksam zu machen. Sie malen Wandbilder in anderen Ländern und veranstalten Ausstellungen ukrainischer Kunst, sie helfen auch beim Sammeln für die ukrainische Armee. Ich erwarte, dass die ukrainischen, zeitgenössischen Künstler nach unserem Sieg sowohl im In- als auch im Ausland mehr Aufmerksamkeit erhalten werden.“

Tickets für eine bessere Zukunft

Im Sommer 2022 bemalten sieben ukrainische Künstler im Rahmen des gemeinsamen Projekts „Zug zum Sieg“ mit der staatlichen Eisenbahngesellschaft Ukrzaliznytsia sieben Waggons eines Sonderzugs. Jeder Waggon symbolisiert eine bestimmte Region und die Geschichte der Menschen, die sich der Besatzung widersetzen. So sind die Wagen dem Straßenkünstler von der Krim, den Eisenbahnarbeitern von Charkiw, dem Anästhesisten von Luhansk, den Kämpfern vom Stahlwerk „Asowstal“, dem ehemaligen Mitarbeiter des Kernkraftwerks Saporischschja und Aktivisten von Enerhodar, den Vertretern der Informationswiderstandsbewegung gegen die Besatzung „Gelbes Band“ von Cherson und den Bauern von Mykolaiv gewidmet. „Ukrzaliznytsia“ ging später den interessanten Schritt, den Ukrainern anzubieten, Wohltätigkeitsfahrkarten „für die Zukunft“ zu kaufen, wenn der „Zug zum Sieg“ durch bestimmte befreite Städte fährt.

Sagt Serhij Gres, Autor des Entwurfs für den Enerhodar gemalten Wagen.

„Wir waren sehr beeindruckt von dem Schritt der Menschen, sich entgenen den Panzern zustellen. Dadurch wurden die Menschen selbst zum Mittelpunkt unseres Konzepts. Die Idee war, die Einheimischen selbst im Spiegel zu zeigen. Denn oft sind sich die Menschen nicht bewusst, wie mutig sie handeln.“

„Zug zum Sieg“, ein Waggon, das Enerhodar gewidmet ist. Autor: Serhij Gres

„Wir haben vierzehn Tage lang im Depot in Kijiw gearbeitet. Dann haben wir eine kleine Nachbildung unseres Waggons bemalt und sie dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda überreicht.“

Der Sommer ist immer die Zeit der Straßenkunst und der Krieg ist kein Hindernis. Die Feldman-Schwestern malen bereits neue Wandbilder mit ihrer Kozak-Figur in Saporischschja und Gamlet plant bereits eine neue Reise nach Izyum für Ende Mai.

Es werden Fotos aus den Archiven der Fotografen verwendet: Mariia Uchytel, Dmytro Direct, Sylvia Hipp, Maxim Yakimenko, Alya Didenko, Yanina Angorska, Gamlet Zinkivskyi, Serhij Gres.

Quellen:

„Kulturwände“ – https://www.culturalforces.org/post/doednuytes-do-spivpraci

War Murals Ukraine Project – www.instagram.com/warmuralsukraine

https://www.kmu.gov.ua/news/ukrzaliznicya-pochala-prodazh-kvitkiv-na-potyag-peremogi

https://telegra.ph/Murali-na-Hark%D1%96vshchin%D1%96—Kulturnij-Desant-10-24

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