Von Eisvögeln, die kein Eis mögen und wo die Luft nach Knoblauch riecht

Wanderer, kommst du nach Connewitz, so schaue stets nach unten, denn die Hinterlassenschaften der Hunde des Viertels lauern an jeder Ecke. Erreicht man das Connewitzer Holz, sollte man den Kopf schnell wieder heben, da der Wald am Rand der großen Stadt mehr als einen Blick wert ist. Wer jedoch die Einsamkeit sucht, sollte die Wälder der Dübener Heide als Zufluchtsort wählen, denn im Connewitzer Holz ist der Mensch selten allein.

Der Zugang zum Wald ist eher laut als romantisch. Über die Teichstraße führt der Weg durch eine Unterführung, über die der Verkehr der Bundesstraße 2 donnert. Das Rauschen begleitet einen durch den ganzen sich anschließenden Wald und erinnert Tag und Nacht daran, dass man sich nach wie vor auf der Gemarkung einer Großstadt befindet. So droht, je nachdem wie der Wind sich dreht, das Hämmern der Spechte im Lärm von Lastwagen, Martinshörnern und Flugzeugen unterzugehen.

Doch scheint der vielfältigen Flora und Fauna dies nicht so viel auszumachen, wie zu befürchten wäre. Dieser Wald ist für seine Artenvielfalt bekannt. Wer in der Pandemie Konzerte vermisste, fand im Frühjahr durch den Gesang der Vögel seinen alternativen Hörgenuss. Die Stimmen von Amseln und Singdrosseln schallen dann von vielen Bäumen, die anderer Arten mischen sich darunter. Mit etwas Glück sieht man Vögel, die sich uns Menschen eher selten zeigen, wie den Kernbeißer. Dieser König aller Finken genannte Vogel hat sein Revier hier im Wald, und er wird von den anderen Gefiederten wegen seines mächtigen Schnabels gefürchtet.

Der Kernbeißer – sein mächtiger Schnabel kann selbst Kirschkerne knacken

Der König der Wälder residiert gleich hinter der Brücke der Bundesstraße 2. Selbstverständlich sitzt er auf keinem Thron und hegt auch keinerlei Ambitionen auf eine Krone, denn hier hat Andreas Sickert in seiner Funktion als Abteilungsleiter Forsten der Stadt Leipzig im Wald das Sagen. Von Beruf ist Sickert Forstingenieur, doch lässt er nicht an Bäumen schrauben, gleichwohl seine Aufgaben vielfältiger Natur sind. Seinen Forst regiert er meist vom Schreibtisch aus. Der Forstmann muss gleichwohl ein Macher sein, soll der Wald als Erholungsort für uns Menschen und als Lebensraum für die bunte Tier- und Pflanzenwelt erhalten bleiben. Damit steht er im Widerspruch zu jenen, die dem Förster die Arbeit erleichtern wollen, indem sie behaupten, dass ein Wald ohne menschlichen Einfluss der Biodiversität mehr Nutzen bringen würde. In der Regel sind die Einwände gegen die Pläne des Försters für den Leipziger Wald sachlicher Natur. Doch leider nicht immer: „Wir haben Morddrohungen erhalten, weil wir Bäume fällen. So todernst nehmen manche Menschen das. Damit muss man umgehen können.“ Gäbe er den Forderungen von moderateren Kritikern nach und würde als „Beamter die Hände in den Schoß legen“, dann würden auenwaldfremde Arten wie der Ahornbaum das Zepter übernehmen und die auenwaldtypischen Stieleichen und Eschen verdrängen. Daher muss er Hand anlegen und besonders die Eiche schützen. Sie verhält sich zu anderen Bäumen und Pflanzen tolerant, weil sie ausreichend Licht durch ihre Krone lässt. Darüber hinaus bietet die Eiche bis zu 3.000 anderen Pflanzen-, Tier- und Insektenarten ein Zuhause. Exemplarisch darf hier der Mittelspecht genannt sein, ein seltener Vertreter seiner Familie. Diese Zimmerleute des Waldes hämmern Höhlen in die Rinde der Eiche und schaffen Lebensraum für ihre Jungen und andere Vögel. Der seltene Hirschkäfer ist auf diesen Baum als Brutplatz für seinen Nachwuchs angewiesen. Die Larven des Käfers ernähren sich von der Borke der Eiche. Auch Maikäfer mögen den Baum und knabbern gerne an seinen Blättern. Die Eiche verträgt das auch, wenn sie gesund ist. Als Engerlinge verbringen Maikäfer über Jahre im Erdreich, im Blattwerk der Bäume leben sie lediglich einige Wochen, fressen sich rund und paaren sich, fallen alsbald tot zu Boden und dienen Mäusen als Nahrung. Die wiederum stehen auf dem Speisezettel vieler Vögel und Säugetiere. Alle haben sie gemeinsam, dass sie sich an, auf und um Eichen tummeln, dort wohl fühlen und sich zum Fressen gerne haben.

Auch diese knorrige Eiche bietet vielen Vögeln und Insekten ein Zuhause

Die Eiche kommt als auenwaldtypischer Baum mit Hochwasser gut zurecht und hält einer Überflutung bis zu hundert Tage stand. Doch bei aller Verbundenheit zu diesem Wald kann sie sich nicht mehr selbst verjüngen. Sie braucht zum Wachsen ausreichend Licht. Der Nachwuchs der Eiche wird aber vom schneller wachsenden und fruchtbareren Ahorn überwuchert. Der Förster Sickert will den Teufel nicht an die Eiche malen, aber er sorgt und kümmert sich um sie. Daher lässt er auenwaldfremde Bäume im Rahmen der Femelwirtschaft roden, um Eichen schützen. Wobei sich nicht alle über die Femelwirtschaft einig sind und sie auch von kritischen Stimmen begleitet wird.

Einen Förster gab es in Leipzigs Wäldern bereits im Jahre 1463. Sickert nennt seinen Berufsstand „ein Instrument des Naturschutzes.“ Die Nutzung der Wälder begann mit der Erstbesiedlung durch Menschen in den Randbereichen der Aue im Rahmen der Jungsteinzeit vor etwa 7.000 Jahren. Den Auenwald „als vom Menschen unberührten Urwald gab es in Leipzig tatsächlich nie“, so der Forstingenieur Sickert.

Auch der die Eiche bedrängende Ahornbaum hat zu kämpfen. Er leidet an der Rußrindenkrankheit, die durch einen Pilz verursacht wird. Dieser macht sich durch längliche Risse in der Rinde und durch einen Schleimfluss am Stamm bemerkbar. Nachfolgend verwelken die Blätter, und in der Krone sterben Äste ab. Die Rinde reißt auf, und ein ausgedehnter rußartiger Belag wird sichtbar. Der Baum stirbt häufig binnen eines Vegetationsjahres ab. Da er jedoch zuvor die Eiche verdrängt hat, wachsen allgemein zu wenige Bäume nach, der Auenwald droht zu verkümmern und seine Artenvielfalt zu verlieren.

Eine weitere auenwaldtypische Baumart, die Esche, wurde ebenfalls von einem Pilz befallen. Laut Sickert sind fast alle Eschen in seinem Wald vom „Falschen Weißen Stengelbecherchen“ befallen, einem aggressiven Pilz, der sich in den Versorgungsbahnen der Bäume ausbreitet und deren Wasser- und Nährstoffzufuhr unterbricht. Daraufhin vertrocknet der Baum, selbst wenn genug Regen fällt. Zu allem Unglück hat sich zu dieser auch „Eschenwelke“ genannten Krankheit der Eschenbastkäfer gesellt, der seine Brut unter die Rinde legt und sich durch den Baum frisst bis er stirbt. Winzige Lebewesen greifen Riesen an, im Kampf David gegen Goliath verliert häufig der Baum. Ein ausführliches Interview mit Herrn Sickert zum Thema Eschensterben findet ihr in unserem Artikel „Eschen sterben langsam“.

Wenn zu wenig Wasser vom Himmel fällt, leidet der ganze Wald. Durch drei trockenheiße Sommer hat die Natur gelitten. Der Grundwasserspiegel und meist auch die Pegel von Flüssen und Bächen sind gesunken. Der Leipziger Auenwald, der es gewohnt war, genügend Wasser um sich zu haben, leidet an diesem Mangel. Gerade die Fauna betreffend sind jedoch Erfolge zu verzeichnen und Erfreuliches zu berichten. Tierarten wie der Biber, Fischotter, Störche oder die Wildkatze kennt jeder, doch waren sie über Jahrzehnte nur in TV-Dokumentationen oder in Gehegen wie dem Leipziger Wildpark zu sehen. Seit einiger Zeit bevölkern sie die Leipziger Auen wieder, und eine Biberfamilie hat sich an der Weißen Elster unweit der Red Bull Arena angesiedelt. Der Wendehals fühlt sich ebenfalls wieder im Auenwald zu Hause, und damit ist nicht ein Mensch, sondern ein rares Mitglied aus der Familie der Spechte gemeint. Im nördlichen Auenwald staksen Störche über die Wiesen und suchen nach Lurchen, wobei diese in trockenen Jahren seltener werden. Trotz mancher Nöte, prägt die Artenvielfalt weiterhin den Auenwald.

Eine weitere auffällige Vogelart hat ihr Revier an der Pleiße, dem bekanntesten Fluss der Stadt. Wobei der Eisvogel die Qual der Wahl hat, in welchem Gewässer er nach Fischen abtauchen möchte. Dresden hat die Elbe, Leipzig viele kleinere Flüsse und noch mehr Bäche. Nicht umsonst spricht man vom „Leipziger Gewässerknoten.“

Die Pleiße fließt durch das Connewitzer Holz

Der Name Eisvogel führt in die Irre, denn Eis und Frost kann dieser kleine bunte Vogel am allerwenigsten gebrauchen. Wenn ein strenger Winter herrscht und die Gewässer des Waldes zufrieren, gelangt er nicht mehr an Fische oder Krebse als Hauptquellen seiner Nahrung. Hält strenger Frost lange an, sterben bis zu 90% der Eisvögel. Sie versuchen, Verluste durch zwei Bruten im Jahr wieder auszugleichen. Eine weitere Gefahr sind Hochwasser, wenn dabei die Bruthöhlen überflutet werden.

Im Vergleich zu anderen Tierarten zeigt sich der Eisvogel empfindlicher gegenüber dem menschlichen Einfluss. Dabei spielen weniger die Wege am Land als jene zu Wasser eine Rolle. Fällt das Frühjahr warm und trocken aus, ist die Pleiße als Ausflugsgebiet paddelnder und rudernder Leipziger sehr beliebt. Fahren zu viele Boote an den Bruthöhlen der Eisvögel vorbei, und verursachen die Menschen mehr Lärm als die Eltern vertragen, besteht die Gefahr, dass sie ihren Nachwuchs verlassen. So haben die Regelungen, den Bootsverkehr während der Brutzeit zu beschränken, durchaus ihre Berechtigung. Vom 1. März bis zum 30. September ist die Zufahrt von der Pleiße aus zum Floßgraben maschinenbetriebenen Booten untersagt, auch Kajaks und Ruderboote unterliegen zeitlichen Einschränkungen. Der „fliegende Edelstein“, wie er auch genannt wird, braucht unseren Schutz, soll er nicht für immer verschwinden.

Ein Jäger mit seiner Beute – Der Eisvogel taucht auch in den Gewässern des Connewitzer Holzes nach Fischen.

Wo viel Wasser ist, brauchen wir Brücken, um trockenen Fußes an das andere Ufer zu gelangen. Die Hakenbrücke, die im Connewitzer Holz über die Pleiße führt und das „Streitholz“ mit dem Wildpark verbindet, erlaubt den kürzesten Weg zum Cospudener See. Sie wird im Sommer täglich von Tausenden Menschen per Fuß oder Rad als Überweg genutzt. Diese Brücke war Anlass für einen Schildbürgerstreich, der seinen Anfang im Leipziger Rathaus nahm. Ihr Bau war im Jahre 2006 geplant, an ihr wurde auch schon gebaut, sollte aber nicht zu Ende geführt werden. Das hierfür notwendige Geld stand – angeblich – nicht zur Verfügung. Aber für den gleichzeitigen Bau des Leipziger City-Tunnels – 2013 nach zehn Jahren Bauzeit fertiggestellt – schien es keine Rolle zu spielen, ob Millionen oder Milliarden ausgegeben wurden. Die Folge war ein Proteststurm der Bevölkerung. Zugleich richteten findige Leute einen Fährbetrieb ein. Die Fähre bestand zwar nur aus einem kleinen Boot, und es brauchte Mut, ihm und dem Fährmann Vertrauen zu schenken, doch der Bürgerprotest trug Früchte. Die Stadtverwaltung kratzte das notwendige Geld zusammen und baute die Brücke.

Sie brauchen keine Brücke, selbst wenn sie blau sind. Moorfrösche während der Paarungszeit

Herrschen in luftigen Höhen Eichen und Eschen, prägt am Boden der Bärlauch das Connewitzer Holz. An dieser krautigen Pflanze scheiden sich Geister und Nasen. Beliebt als Beilage aufs Brot und im Salat, steigt mit dem Frühjahr sein, mit einem kräftigen, wie nach Knoblauch anmutenden Duft dem Spaziergänger in die Nase, und das behagt nicht jedem. Viele jedoch mögen diesen würzigen Geruch, verleiht er der Luft im Wald eine besondere Note. Einer der vielen Beinamen des Bärlauchs lautet nicht umsonst Waldknoblauch. Während des Nazi-Regimes sollte dem Bärlauch der Garaus bereitet werden, da es im Wald nach ihrem Jargon „wie nach Russen stank“. Gottlob hat der Bärlauch überlebt.

Wir Menschen lieben die Natur und belasten sie zugleich. Picknicken im Wald macht Spaß und ist gerade in Zeiten der Pandemie in Mode. Beim Förster und Naturliebhaber Sickert jedoch sinkt die Laune rapide, wenn er zurückgelassenen Müll entdecken und beseitigen muss. Wer volle Flaschen ins Grün tragen kann, sollte in der Lage sein, sie leer wieder mit nach Hause zu nehmen. Durch Corona bevölkern Leute die deutschen Wälder, die ohne die Pandemie auf Reisen in ferne Länder gewesen wären. Sickert beklagt einen zunehmenden Vandalismus und berichtet, dass mitunter Holz von Zäunen oder Spielplätzen in ein Lagerfeuer geworfen wird. Im Zuge der Pandemie sind Gesichtsmasken allgegenwärtig. Viele lassen ihre Masken achtlos fallen, ob sie sich auf der Straße oder einem Waldweg befinden. Versagen wir beim lokalen Umweltschutz, scheitern wir auch beim globalen. Wir sind aufgerufen, uns zu hinterfragen und Schlüsse zu ziehen, soll es uns gelingen, eine Perle wie das Connewitzer Holz für künftige Generationen schützen und bewahren zu können.

Der Förster Sickert will seinen Wald weiter wachsen und gedeihen sehen, auch wenn er sich in wenigen Jahren in den Ruhestand verabschieden wird. Langeweile scheint er nicht zu kennen. „Ich will Skandinavien bereisen, am liebsten im Zelt, auch wenn´s da mal kalt wird. Und möglichst viele Museen besuchen. Das ist mein Traum, und den möchte ich mir erfüllen!“

Fachliche Quellen:

Andreas Sickert, Leiter Abeilung Forsten der Stadt Leipzig

Website Leipziger-Auwald.de (Bildungs-und Forschungsportal)

Zu Rußrindenkrankheit und Eschentriebsterben die Website des GALK e.V. (Deutsche Gartenamtsleiterkonferenz)

Bildquellen: Das Beitragsbild mit dem blühenden Bärlauch, die Detailaufnahme der Eiche und das Bild mit den drei Moorfröschen stammen von Herrn Oliver Thier aus der Website www.leipziger-auwald.de.

Das Foto mit der Pleiße im Connewitzer Holz stammt von Herrn Martin Geisler.

Das Foto mit dem Kernbeißer stammt von Herrn Andreas Giessler aus der Website vom LBV Infoservice.

Das Foto mit dem Eisvogel und seinem Fisch stammt von Herrn Knut Fischer von der Website der Leipziger Auwaldstation.

Die Karte über das Connewitzer Holz aus dem Jahre 1879 von der Abteilung für Landesaufnahme des Königl. Sächs. Generalstabes – SLUB Dresden

Connewitz mit dem Holz auf einer Karte von 1879. Man beachte, schon damals gab es ein Wasserwerk, siehe oben links.

Im Connewitzer Holz
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