Napoleon I. Bonaparte (1769 – 1821), französischer Feldherr und Politiker,
Kaiser der Franzosen von 1804-1814/15, Zitat nach der Völkerschlacht

Wir denken bei der Völkerschlacht gewöhnlich zuerst an den furchtbaren Zusammenprall von einer halben Millionen Soldaten, auf engstem Raum, während der entscheidenden Wende der Befreiungskriege von 1813 bis 1815 gegen Napoleon. Weithin entschwunden dagegen sind unserem Bewusstsein die Leiden der Zivilbevölkerung und der einfachen Soldaten auf beiden Seiten, die wir mit unserer Reihe „Leipziger zur Zeit Napoleons“ näher erläutern wollen.

Hier soll zunächst einmal an die Verhältnisse auf dem flachen Land erinnert werden, vornehmlich an die Dörfer, in diesem Falle an Großzschocher. Der Ort befand sich am Rande des Schlachtfeldes, gewissermaßen der Süd-Westfront zuzuordnen und wurde nicht in der Weise Kampfgebiet wie etwa Probstheida, Schönefeld oder Möckern.

Das Schrecklichste hier waren vielmehr die schon seit 1812 verstärkt andauernden Einquartierungen ständig wechselnder Truppenteile und die damit verbundenen Requisitionen①, die in dem Maße, wie Vorräte zu Ende gingen, immer mehr in Plünderung und Gewalttat ausarteten.
Allerdings muss man einräumen, dass es sich oft genug nicht um vorsätzliche Rohheit oder Unmenschlichkeit handelte, sondern dass der von Freund wie Feind verübte Frevel einfach vom Hunger diktiert war.
Sachsen hatte zur Zeit der Leipziger Völkerschlacht bereits den zweiten Feldzug innerhalb eines Jahres hinter sich und war unterdessen so ausgezehrt, dass die Soldaten teilweise von Krautstrünken und Mohrrüben lebten.
Schon wenige Kartoffeln erhielt man nur noch gegen schweres Geld. Umso anziehender wirkte natürlich dann ein Dorf inmitten kultivierter Fluren, wie es in Großzschocher der Fall war.
Endlich bot sich einmal die Gelegenheit, die Ernährung von Mann und Ross um einiges aufzubessern!

Für Großzschocher hatte das zur Folge, dass es, noch eben ein blühender Ort, binnen weniger Tage in völlige Armut und Verwüstung geriet.

Aufschlussreich sind diese Berichte aber auch durch die darin mitgeteilten Gespräche. Noch überwiegt nach wie vor unter den französischen Truppen der Glaube an den unüberwindlichen
Kaiser Napoleon. Doch lesen wir nun auch die Berichte jener einfachen Menschen, die auf beiden Seiten unverblümt das Ende des Militärdespotismus Napoleons herbeisehnen.


Teil 1

George Santayana (1863 – 1952), US-amerikanischer Philosoph und Schriftsteller


Als Quelle für die Reihe „Leipziger zur Zeit Napoleons“ dient uns hier das Buch „Die Völkerschlacht bei Leipzig“ aus dem Koehler & Amelang Verlag, zusammengestellt von Gerhard Graf. Auch verschieden Internetseiten, wie etwa Wikipedia, werden hier als Quellen genutzt.
 
Im ersten Teil der Reihe ist unser zeitgenössische Berichterstatter Ludwig Wilhelm Gottlob Schlosser, geboren 1774. Er war zunächst Pfarrer in Drakendorf (Sachsen-Weimar)und hat bei der Schlacht von Jena 1806 zum ersten Mal die Gräuel des Krieges erfahren. Am 8. Oktober 1806 überschritten nämlich französischen Soldaten die Grenze von Sachsen und den Tag darauf erklärte der König von Preußen, Friedrich Wilhelm III., Frankreich den Krieg.
Nach der Doppelschlacht von Jena und Auerstädt wurde Preußen besiegt und Napoleon veranlasste die sogenannte Kontinentalsperre.
Am 18.Oktober 1806 marschierten dann Französische Truppen unter Marschall Davout in Leipzig ein.

Um 1811 zog Pfarrer Schlosser nach Großzschocher und übernahm dort die Tätigkeiten als geistlicher Vorsteher der Gemeinde.
Hier war er maßgeblich an der Rettung Theodor Körners und anderer Lützower Jäger beteiligt, nachdem diese Freischar② während des Waffenstillstandes im Sommer 1813 von Napoleons Streitkräften bei Kitzen, unweit von Großzschocher, verräterisch überfallen und vertrieben wurden.
Schlosser persönlich hatte noch bis zum 14. März 1814 Einquartierungen zu erdulden, erlebte dann den allmählichen Wiederaufbau seiner Gemeinde mit und ging erst 1855 in den Ruhestand. 1859 starb er im benachbarten Lindenau. Schlosser hielt damals fest:

„Wie schon gesagt hatten wir während des Waffenstillstandes immer Einquartierungen gehabt. Bald waren es italienische Stückknechte③, bald polnische Reiter, bald viel, bald wenig, aber immer blieben sie lange, einmal 176 Pferde drei Wochen lang, ohne dass wir deswegen mit kürzeren Einquartierungen auf einen Rasttag und eine Nacht verschont geblieben wären. Aber es wurde alle Tage schlimmer. Am härtesten ging es uns am Sonnabend vor dem 16. Sonntage nach Trinitatis④, den Monatstag habe ich zu bemerken vergessen.
Es kamen nämlich, ganz unangemeldet, und wie man merkte, infolge eines unglücklichen Gefechts, 600 württembergische Reiter und 600 Mann zu Fuß bei uns an und schlugen ihre Lager in einem großen Feldgarten vor dem Dorfe und auf den Platzbeeten auf. Sie holten Tische, Stühle und Bänke, Sägebock und Bretter, Türen und Fensterläden, Holz, Stroh, Heu, Säcke, Töpfe, Tiegel, Schüsseln, Teller, Näpfe, Schubkarren, Eimer und Kübel, Leuchten und Lampen aus den Häusern.
Sie fütterten nicht nur ihre 600 Pferde reichlich, sondern sie nahmen auch noch 40 Scheffel⑤ Hafer mit auf den Weg. Die Württemberger spielten den Meister, drängten die sehr verschüchterten Franzosen auf die Seite und ließen ihnen wenig zugutekommen.
Die Verwirrung und Betäubung war so groß, dass am Sonntag danach nicht gepredigt, sondern erst am Nachmittag eine Betstunde abgehalten werden konnte. Am 6. Oktober musste das Dorf 1800 Pfund Brot, einen Ochsen, 800 Rationen Hafer und vier Wagen Heu liefern.
Am 7. mussten wir 200 Rationen Brot, Butter, Fleisch, Bier und Branntwein nach Lindenau schaffen.
Am 8. glaubten wir einmal frei zu sein, aber noch in der Nacht mussten 200 Rationen Hafer und Heu und ebenso viele Portionen Fleisch und Brot beschafft werden.“

Kirche von Großzschocher (Quelle: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig)

Es ist an dieser Stelle wichtig festzuhalten, dass die damalige Bevölkerung, selbst hier im Zeitalter der Aufklärung, immer noch sehr gläubig war. Die Messe an jedem Sonntag war ein fester Bestandteil des Gemeinschaftslebens, insbesondere auf dem Land. Die Umstände, die die Menschen dazu veranlasst haben, die sonntägliche Messe ausfallen zu lassen, muss einen Schock gleich gekommen sein.

Darüber hinaus ist es schwer sich mit heutigen Maßstäben an den Wert der Waren zu orientieren. Eine Kuh wurde nicht nach ihrem Wert in einer Währung betrachtet, sondern nach ihrem Wert für die Bauersfamilie an sich. Freilich gab es einheitliche Preise, wie etwa beim Brot: doch ging es für die Bauern, die teilweise noch Leibeigene waren, darum, ihre Pacht durch Abgabe von Erträgen und produzierten Waren zu bezahlen. Die Abgabe des Zehnten, also eine etwa zehnprozentige Steuer in Form von Geld oder Naturalien an eine geistliche (etwa Tempel, Kirche) oder eine weltliche (König, Grundherr) Institution zu zahlen, war zu dieser Zeit noch geläufig.

Aber um einen kurzen Überblick zu gewähren sind hier die nochmal die durchschnittlichen Preise und Löhne der damaligen Zeit:
Ein Handwerker verdiente im Jahr circa 70 Taler. Ein Generalleutnant erhielt dagegen 4000 Taler per annum. Goethe nahm als Schriftsteller im Jahr um die 1500-2000 Taler ein.
Man bekam damals für einen Taler ungefähr 6 kg Fleisch oder 12 kg Brot, aber nur ein halbes Pfund Tee oder 1 kg Tabak .
Für ein möbliertes Zimmer bezahlte man zu jener Zeit 50-60 Taler jährlich an Kost und Logis.



Pfarrer Schlosser schrieb weiter:

„Am 9. Oktober rückten 500 Mann berittene französische Nobelgardisten⑥ hier ein und blieben über Nacht.
Als sie im Pfarrhofe Futter fassten und ich ihnen winkte, kam einer herüber an mein Fenster, um sich zu bedanken, und bat mich ein wenig hinauszukommen. Als ich an sein Pferd trat, fragte er mich, ob es wahr sei, dass sich Kosaken⑦ sehen ließen.
»Man sagt es, « erwiderte ich, »aber ich glaube es nicht. «
»Oh, « versetzte er, »ich wollte, sie kämen und jagten mich bis in meines Vaters Hof. «
Für den Abend war ich aufs Rittergut gebeten, um mich zweien von diesen Nobelgardisten, die kein Wort Deutsch verstanden, zur Gesellschaft zu dienen. Der eine, ein Hauptmann, war ein Mann in den Fünfzigern, der andere ein Jüngling von 18-20 Jahren, beide sehr höfliche, wohlerzogene Leute, in hohem Grade unzufrieden mit Napoleons Tyrannei und ohne die geringste Lust, ihm die Welt erobern zu helfen. Der Hauptmann war Leutnant in der Garde Ludwigs XVI. gewesen und mit dem Titel Hauptmann und 800 Livre (drei Livre entsprachen etwa einem Taler) pensioniert worden. Er hatte sich auf ein kleines Landgut, das er bei Paris besaß, zurückgezogen und war ledig geblieben. So hatte er die Stürme der Revolution überstanden und sah besseren Tagen entgegen.
Da kam der Befehl, Dienst in der jungen Garde zu nehmen, bei Verlust seines Gnadengehalts.
Er ließ diesen fahren und blieb zu Haus. Nach kurzer Zeit kam ein neuer Befehl, Dienst in der Nobelgarde zu leisten, bei Konfiskation seines Landguts. Um diesen Trost seines Alters nicht zu verlieren, hatte er den Dienst aufgenommen.

Der andere war der vierte Sohn eines Kaufmanns, seine drei älteren Brüder lagen auf den Schlachtfeldern in Spanien und Russland, der Jüngste sollte das väterliche Geschäft fortführen und die Stütze der Seinigen im Alter sein. Aber es kam der erneute Befehl, Dienst in der jungen Garde zu nehmen. Der alternde Vater kaufte den unentbehrlichen, allein übrig gebliebenen Sohn mit 20.000 Franken los (1806 entsprach 1 preußischer Reichstaler etwa 3,54 französischer Franken was heute ungefähr 21,60 Euro entsprechen würde).
Nach einiger Zeit kam wieder ein neuer Befehl, Dienst in der Nobelgarde zu leisten. Davon gab es keine Befreiung. Er musste ziehen und die 20.000 Franken waren auch in den Abgrund des kaiserlichen Schatzes gefallen.
So erzählten diese aufrichtigen Männer, die sich wie Vater und Sohn benahmen.“


Sibirischer Kosake, Ende des 19. Jahrhunderts (Quelle: Wikipedia Commons)

Die Kosaken. Selbst für damalige Verhältnisse galten diese verwegenen Reiter zu den wildesten und entschlossensten Kriegern auf dem Felde. Bei Freund und Feind gefürchtet, aber auch bewundert, zeichneten sie sich durch blitzschnelle Angriffe mit altmodischen Waffen, wie etwa Lanzen und Säbeln, aus. Die Leipziger selbst waren sehr beeindruckt von diesen vollbärtigen slawischen Reitern, ihrem unbeugsamen Auftreten und ihrem scheinbar unstillbaren Durst nach hochprozentigen Spirituosen.

Eine zeitgenössische Schilderung der russischen Krieger von 1813 beschreibt sie wie folgt:
[…] Man kann daher leicht schließen, dass die Kosaken nicht aus zusammengelaufenen Taugenichtsen, sondern zum Teil aus sehr gebildeten Männern bestehen und also für den Bürger und Bauern nicht so furchtbar sind als man glaubt;  nur ihre uns ungewohnte Kleidung, Bewaffnung, Sprache, ja sogar der Name Kosak flößt uns Furcht ein. Die Lebensweise der Kosaken unterscheidet sich wenig von der der Russen, so wie ihre Sprache und Religion dieselbe ist. Die Hauptwaffe des Kosaken ist die Pike oder Lanze, welche oft gegen 9 Ellen (ca 4,5 Meter) lang ist und womit er sehr geschickt umzugehen weiß. Neben dieser schützt ihn außer seinem tüchtigen Pferde, noch eine Flinte oder Büchse, eine oder zwei Pistolen, welche er im Gürtel trägt, und der Säbel. […]

Elsterbrücke in Großzschocher, Gemälde von H. Zeibig (Quelle: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig)

Schlosser hielt weiter fest:

„Diese Einquartierungen verhinderte aber nicht, dass noch eine Schar Stückknechte mit 200 Packpferden aus Leipzig kam, um auf einen Schein der Kreisdeputation⑧ so viel Heu und Stroh zu fassen, wie sie fortbringen konnten, wodurch die Schäferei in Windorf fast allen Futters beraubt wurde. Nicht besser ging es den armen Bauern. Ungeachtet einzelne kleine Haufen Kosaken bis Zöbigker (Stadtteil von Markkleeberg) und einer sogar bis in unsere Flur gekommen waren, gingen doch die Lieferungen fort. Am 10. Oktober, einem Sonntag, waren wieder große Lieferungen, so dass gar kein Gottesdienst zustande gebracht werden konnte, und sogar am späten Abend musste noch einmal geliefert werden, ebenso am 11. morgens. Am 12. hatten wir vier Lieferungen und waren
schon dadurch außer uns. Aber was sollten noch am Abend dieses mir unvergesslichen Tages über uns kommen!“

Gasthof Windorf in Großzschocher (Quelle: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig)

Lesen Sie nächste Woche im zweiten Teil unserer Reihe „Leipziger zur Zeit Napoleons“ die Fortsetzung!


Begriffserklärung
① (militärische Beschlagnahmung)
② (aus Freiwilligen bestehender militärischer Verband)
③ (Der Stückknecht war zum Transport u. Bedienung der Geschütze eingeteilt)
④ (Fest im Kirchenjahr, das in der Westkirche am ersten Sonntag nach Pfingsten begangen wird)
⑤ (ein sächsischer Scheffel umfasste knapp 104 Liter)
⑥ (Einrichtung Napoleons, in der das vermögende Bürgertum Militärdienst leisten sollte)
⑦ (bewaffnete leichte Reiterei im zaristischen Russland)
⑧ (eine Abordnung oder die Entsendung einiger Mitglieder aus einem Gremium, einer größeren Versammlung, Körperschaft oder Genossenschaft zur Erledigung besonderer Angelegenheiten in deren Auftrag)

Leipziger zur Zeit Napoleons
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