Ein Kommentar von Bernhard

Kulturförderung ist in aller Munde. Dabei ist es nicht länger nur klassische Musik oder bildende Kunst, sondern zunehmend Pop- und Rockmusik, der die Aufmerksamkeit gilt. Auch Leipzig, wo traditionell Musik eine bedeutsame Rolle spielt, hat die Debatte mittlerweile erreicht. Unser Redakteur Patrick regte unlängst erst das Begründen einer modernen Bandförderung, wie es sie in Städten wie Berlin oder Hamburg längst gibt, an, um die Kluft zwischen einer regen, subkulturellen Szene und dem Mangel an erfolgreichen, überregional bedeutsamen Bands zu schließen. Doch Redaktionskollege Bernhard ist skeptisch und stellt die Gegenfrage: kann es wirklich ein Ansatz sein, Popkultur mittels staatlicher Förderung hervorzubringen?

Ein grundsätzlicher Einwand liegt natürlich auf der Hand: scrollt man im Geist durch die Musikgeschichte, angefangen mit popmusikalischen Pionieren wie Chuck Berry oder den Beatles, über Experimentatoren wie David Bowie, Provokateuren wie den Sex Pistols bis hin zu rein kommerziellen Projekten wie Ace Of Base oder den Backstreet Boys -quasi alle bedeutenden Protagonisten der Musikgeschichte haben niemals irgendeine Art von staatlicher Förderung erhalten. Im Gegenteil: die meisten großen Namen waren als Innovateure zu Beginn ihrer Karriere zumeist massiver Ablehnung und Anfeindung ausgesetzt. Und das nicht erst seit heute: bereits Richard Wagner wurde wegen seiner damals revolutionären Harmonik von Musikkritikern befehdet und während der Uraufführung von Strawinskys „Le Sacre Du Printemps“, einem heute vollends kanonisierten Werk, kam es 1913 in Paris zu einem Tumult mit 27 Verletzten, so verstörend wirkte es auf die Zuschauer.

Die Geburt des musikalischen Skandals: Strawinskys „Le Sacre Du Printemps“

Die moderne Popmusik setzt dieses Verhalten im Grunde nur fort: Die bedrohliche Wildheit des Rock N Roll, der Pazifismus der Hippie-Bewegung während es Vietnam-Krieges, das Kokettieren von David Bowie mit Homosexualität, der Kult des Hässlichen im Punk bis hin zu satanistischen Versatzstücken im Heavy Metal: Popkultur ist subversiv, niemals staatstragend, moralisch verantwortungslos, ein unentwegt brodelnder Unsicherheitsherd, stets bereit, die Jugend auf gefährliche Abwege zu führen. Die Vorstellung also, daß eine Art offizieller Popbehörde der Regierung mittels Anträgen und Förderprogrammen im Rahmen von festgelegten Qualitätsrichtlinien und Normen tatsächlich eine positive Wirkung ausüben könnte, nimmt sich aus dieser Perspektive eher absurd aus. Das Neue stellt das Bestehende infrage; vor allem die Popmusik zieht ihren Antrieb nicht zuletzt aus der Provokation, dem Hinterfragen, dem oft auch sehr plakativen Ablehnen etablierter Normen und Wertvorstellungen. Und gelingt die Etablierung, klopft meistens bereits die nächste radikale Idee an.

JAZZ ALS STREICHELZOO

Wie sich eine Musikrichtung im Zuge ihrer gesellschaftlichen Domestizierung verändert, lässt sich am Beispiel des Jazz als Vorläufer moderner Popmusik gut beobachten. Denn Jazz, der mittlerweile als „moderne Klassik“ in den bildungsbürgerlichen Kanon eingereiht und mit steter Förderungsaufmerksamkeit bis hin zur Gründung eines offiziellen „Bundesjugendjazzorchesters“ versehen wurde, in dem fleißige Bildungsbürgersprößlinge schmissige Big Band Standards einüben dürfen, beginnt seinen Weg eigentlich am anderen Ende des gesellschaftlichen Spektrums. Als ekstatische Partymusik in den Kellerclubs der ausgegrenzten Schwarzen in den USA bricht er anfangs musikalisch mit allen damals bestehenden Konventionen. Er kennt keine festen Stücke, keine Notenblätter, auch übliche Rhythmen und Tonleitern werden ignoriert, er bringt die Improvisation, den Tanz, die Freiheit, das Moment zurück in einer Zeit, in der die kulturellen Eliten unter guter Musik vorwiegend pompöse Orchesteraufführungen verstehen, denen man in Frack und Abendkleid auf Konzerthaus-Stühlen sitzend beiwohnt. Jazz ist ein radikaler Kulturbruch, doch gerade das macht ihn relevant, interessant, anziehend. Er muss in seiner Blütezeit – während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – nirgendwo gefördert werden, vielmehr bekämpfen die staatlichen Stellen ihn vielerorts sogar, während die feierfreudige Jugend ihn für sich entdeckt, statt sittsam Schubert auf dem Klavier zu üben. 

Gefördert muss Jazz ironischerweise erst werden, seitdem er kulturell tot ist. Anders ausgedrückt: erst mit dem Erlöschen des allgemeinen Interesses wird für die Erhaltung der Spielstätten und des musikalischen Niveaus eine Förderung überhaupt notwendig. Doch auch trotz all der Jazzförderung, die sich in den letzten Jahrzehnten bis hin zu Jazz-Studiengängen in den Musikhochschulen etabliert hat, geht von ihm schon lange keinerlei gegenwärtige Relevanz mehr aus. Der Jazz der Gegenwart ist ein eigenartiges, windstilles Biotop; eine museale Oase, die jedem freisteht, und trotzdem kein Interesse entzündet, ein Stil, der aufgrund der intensiven staatlichen Zuwendung meist mit höchster, künstlerischer Perfektion ausgeführt wird und dessen Wirkung dennoch kaum mehr über einen überschaubaren Anhängerzirkel hinausreicht. Vergleichbares lässt sich auch in anderen Bereichen aktueller Kulturförderung beobachten. Sei es Theater, sei es Tanz und Ballett oder klassische Musik: höchste handwerkliche Perfektion und ambitionierte Kunstkonzepte treffen auf hochgradiges Desinteresse der Gesellschaft, gelegentlich jagt man eine Schulklasse durch die Vorführungen, doch auch die Kinder klagen nur selten, wenn der Vorhang sich wieder senkt. Kurz gesagt: mit der etablierten Kulturförderung werden kaum neue Anhänger gewonnen, sondern lediglich die bestehenden besser bedient. Einem kleinen, aber einflußreichen Milieu ist es gelungen, den eigenen Geschmack als kulturtragend und gesellschaftlich relevant zu kommunizieren und kann sich deshalb über günstige Aufführungen auf hohem Niveau freuen.

Ein einstiger Schrecken des Bildungsbürgertums: Jazz.

DAS MUSICBOARD BERLIN

Um die Limitationen etablierter Kulturförderprogramme zu überwinden, werden vielerorts in Deutschland mittlerweile eigene Förderkonzepte für die lokale Musikszene eingerichtet. Am Ambitioniertesten und Bekanntesten ist dabei vielleicht das 2013 begründete „Musicboard Berlin“, bei dem lokale Bands, Labels und Veranstalter finanzielle Unterstützung vom Staat beantragen können. „Ein Musicboard-Stipendium ist eine personenbezogene Förderung von Musiker*innen oder Bands, die sich mit einem zeitlich begrenzten musikalischen Vorhaben künstlerisch weiterentwickeln oder professionalisieren möchten“ heißt es auf der Webseite. Darin stecken zwei Förderungsaspekte: die „künstlerische Weiterentwicklung“ und die „Professionalisierung“. Beide sind sie aber auf ihre Weise problematisch. Um nämlich eine „künstlerische Weiterentwicklung“ fördern zu können, muss dem betreffenden Projekt überhaupt erst einmal von einer übergeordneten Instanz ein künstlerisches Niveau zugesprochen werden. Und auch eine potentiell experimentierfreudige Jury muss ihre Entscheidungen wieder gegenüber dem eigentlichen Geldgeber, dem Staat, begründen können, um nachzuweisen, daß sie mit den Projektmitteln sinnvoll umgegangen ist. Gefördert werden kann in diesem Sinne also gerade nicht die „Innovationskraft der Berliner Musikschaffenden“, sondern nur das, was bereits so weit etabliert und gesellschaftlich akzeptiert ist, daß es einer staatlichen Bürokratie gegenüber vermittelbar ist. Anders gesagt: Gefördert werden kann nur das, was nicht innovativ ist.

Auch die „Professionalisierung“ hat eine Schattenseite: bei den meisten Förderungsmodi muss nach Abschluß ein messbarer Förderungseffekt nachgewiesen werden, sei es durch Klickzahlen auf YouTube, durch verkaufte Alben, anwesende Zuschauer bei Konzerten oder wodurch auch immer. Auch hier verlangt der Staat, durchaus ja nachvollziehbarerweise, den Nachweis, daß das Geld nicht sinnlos verschleudert wurde, und die Vermutung liegt nahe, daß in diesem Sinn Ideen, die entweder kommerziell aussichtslos sind oder aber Ziele verfolgen, die sich nur schwer messen oder quantifizieren lassen, ausgeschlossen werden müssen.

Um die Musikförderungs-Dystopie als potentielles Worst-Case-Szenario zu vollenden: noch gefährlicher als die Nicht-Förderung von Projekten, die bürokratischen Schemata nicht genügen, ist vielleicht die potentielle Selbstzensur der Kreativen. Die Schere im Kopf, die bereits vorab im Hinblick auf gewünschte Inhalte selektiert, um die eigene Chance auf Fördergelder und damit dem eigenen Traum von der Musikerkarriere zu erhöhen. Die allzu drastischen, sperrigen, unverständlichen, radikalen, eigenartigen, unseriösen Momente, kurzum: all das, was möglicherweise gerade die tatsächliche Innovation ausmachen würde, wird vom Künstler selbst weggelassen, um der verniedlicht-harmlosen Bonsai-Version von Innovation und „Kunst“, die bei Ministerialbeamten Anerkennung findet, zu genügen. Was bleibt, ist Stagnation, Mittelmässigkeit, Biederkeit. Analog zu Theater und Klassik entsteht ein seelenloser Künstlerzoo als Elitenprojekt, dessen staatlich postulierte Relevanz in krassem Gegensatz zum völligen Mangel an öffentlichem Interesse steht.

Vor deiner Tür stehen diese jungen Männer. Sie behaupten, sie wären „innovativ“ und wollen Geld. Wie reagierst du?

DAS SCHWEDISCHE MODELL

Um der Frage nachzugehen, ob diese Befürchtungen sich in der Praxis tatsächlich bewahrheiten, ist es naheliegend, sich bereits erprobte Musikförderungskonzepte näher anzusehen. In ganz Europa wird mittlerweile Popkulturförderung betrieben. Doch vertieft man sich in die Debatte, ist es letztlich immer wieder ein Land, das genannt wird, da es seit vielen Jahren eine engagierte, staatliche Musikförderung betreibt und gleichzeitig als musikalischer „Exportweltmeister“ gilt: Schweden.

Von Metal (Bathory, Dissection, Opeth, Hammerfall,…) über Indierock (The Hives, Mando Diao, Refused, …) bis hin zu Pop ( Robyn, Lykke Li, Avicii, …) – im Verhältnis zur Bevölkerungszahl von nur 10 Millionen bringt Schweden eine ungeheure Zahl international bekannter Bands hervor. Und das ist nicht alles: Gleichzeitig bildet Schwedens Hauptstadt Stockholm heute eines der globalen Zentren kommerzieller Musikproduktion. Welthits wie Britney Spears‘ „Baby One More Time“ oder Katy Perrys „I kissed a girl“ stammen aus Schweden und aktuell umfasst die Liste derjenigen, die regelmäßig nach Stockholm fliegen, um sich dort ihre Hits produzieren zu lassen, unter anderem mit Taylor Swift, Ariana Grande, The Weeknd, Pink, Jennifer Lopez, One Direction oder Usher viele der weltweit erfolgreichsten Namen der Popmusik.

Die Musiknation Schweden ist ein Phänomen, es nimmt deshalb nicht Wunder, daß viele über die Gründe dieses Erfolges grübeln, sogar eine Doktorarbeit zum Thema ist vor einigen Jahren erschienen: „Der Erfolg des schwedischen Musikexportes“ von Heike Imken. Wer über Musikförderung nachdenkt, kommt an Schweden nicht vorbei. Durchforstet man die zahlreichen Texte zum Thema, werden dabei interessanterweise immer wieder dieselben Aspekte genannt, die nach Ansicht von Experten für das Musikphänomen Schweden verantwortlich sind.

Die kommunalen Musikschulen: Neben seiner Musik ist Schweden auch für seine Sozialpolitik bekannt, und genau hier nahm schon in den 40er Jahren das schwedische Musikwunder seinen Anfang. Der Kontrast von schwedischem und deutschem Zugang zur Musik könnte dabei nicht größer sein: während in Deutschland die staatliche Förderung von Musik typischerweise stark von Wettbewerbs- und Leistungsgedanken geprägt ist, um professionelle Musiker für die vielen klassischen Orchester heranzuziehen, steht für die Schweden beim Musizieren das Gemeinschaftsbildende im Mittelpunkt und wird als Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe verstanden. In so gut wie jeder schwedischen Kommune wurde deshalb eine Musikschule eingerichtet, und bis in die 70er Jahre hinein ist der Musikunterricht dort für alle kostenlos. Auch die Proberäume werden kostenlos von den Kommunen in ausreichender Anzahl gestellt, gebrauchte Instrumente können günstig geliehen werden und es existieren kommunale Jugendzentren, in denen junge Bands ungezwungen ihr Repertoire mit der Öffentlichkeit teilen können. Dieser niedrigschwellige Zugang zur Musik hat natürlich positive Folgen. Torgny Sandren vom Schwedischen Kulturrat zieht den Vergleich zur Leichtathletik: umso größer die Basis an Laiensportlern sei, desto mehr Leistungssportler würden daraus entstehen, und wo nun das Musizieren sozusagen „Volkssport“ in Schweden ist, finden sich auch entsprechend viele mit ausreichend Talent und Ambition, um das Hobby zum Beruf zu machen. Daneben vermittelt der Musikunterricht auch die notwendigen theoretischen Grundlagen, was sich gerade für diejenigen, die später als Songwriter oder Musikproduzenten arbeiten, als außerordentlich hilfreich erweist. „I have to thank public music education for everything“, bekennt der schwedische Produzent Max Martin im Interview. Profis wie er, Anders Bagge oder Rami Yacoub, die heute für Lady Gaga, Madonna und Bon Jovi produzieren, haben als Kinder in den kommunalen Musikschulen die Grundlagen erlernt. Und wessen Traum vom Rockstardasein noch auf sich warten lässt, findet dort zumindest als Musiklehrer ein zweites, finanzielles Standbein.

Der ABBA-Effekt: Erfolg ist ansteckend, denn Erfolg inspiriert andere und dient als Ansporn. So scheint es zumindest, denn der ABBA-Effekt wird von bemerkenswert vielen Musikern und Musikwissenschaftlern genannt. Durch ABBA, die mit ihrer Stilmischung aus Rock und Schlager zur Genese der Popmusik beitragen und bis heute eine der erfolgreichsten Bands der Musikgeschichte sind, beginnt das abgelegene, kleine Schweden sich seit den 70ern selbst als Musikland wahrzunehmen. Die Option, mit der eigenen Band international erfolgreich zu werden, erscheint plötzlich nicht länger als absurde Phantasterei – denn ABBA zeigen, daß es möglich ist. Auf ABBA in den 70ern folgen in den 80ern Europe und Roxette, in den 90ern Ace of Base und die Cardigans. Heute sind es Avicii, Robyn oder Swedish House Mafia, die das Banner des schwedischen Pop in die Welt hinaustragen. Dabei entsteht nicht nur ein Bewußtsein, eine Ambition, ein Image, sondern auch die notwendige wirtschaftliche Infrastruktur an Plattenfirmen, Managern, Aufnahmestudios und Produzenten. Umgekehrt erarbeitet die schwedische Musik sich auch zunehmend im Ausland Ansehen. Aus dem abgelegenen Schweden zu stammen, ist schon lange kein Problem mehr für eine junge Band, sondern geradezu ein Gütesiegel.

Mit ABBA beginnt Schwedens Aufstieg zur Popnation.

Musikförderung: Als dritter Punkt erst taucht die Musikförderung auf. Auch diese ist Resultat des schwedischen Wohlfahrtsstaates. 1974 wird der schwedische „Kulturrat“ als Institut zur finanziellen Kulturförderung gegründet. Seit 1982 hat er die Aufgabe, Unterstützung für die Produktion und Herausgabe von Tonträgern zu verteilen. Allerdings ist der Zusammenhang zwischen Musikförderung und popmusikalischem Erfolg bei weitem nicht so offenkundig wie teilweise angenommen wird. Denn die schwedische Musikförderung beschränkte sich jahrzehntelang auf den Bereich von Laienmusik und nicht-kommerziellen Plattenfirmen, in der Praxis wurde damit primär regionale Folkmusik unterstützt. Erst 2001 reformierte Schweden seine Musikförderung zur heutigen Gestalt, die auch für normale Bands, die Professionalisierung und internationalen Erfolg anstreben, zugänglich ist. In diesem Sinn also ist der Verweis vieler Musikförderungsbefürworter auf Schweden verfehlt. Denn weder ABBA noch Roxette, weder die in den 80ern entstehende Indie- und Metalszene noch die sich Anfang der 90er in Stockholm gründenden Produktionsstudios – kurz gesagt: so gut wie alles, was für die schwedische Musik charakteristisch ist, entstand ohne Musikförderung.

Doch auch wenn es, wie sich zeigt, womöglich auch teilweise auf einem Missverständnis beruht, gilt das aktuelle schwedische Modell allgemein als vorbildhaft. Das Musicboard Berlin beispielsweise übernimmt es in seinen wesentlichen Zügen. Im Jahr 2009 stellte die schwedische Regierung insgesamt 446 Millionen Schwedische Kronen (ca. 44 Millionen Euro) für Musikförderung zur Verfügung. Pro Jahr werden etwa 450 Anträge gestellt, von denen ungefähr 100 bewilligt werden. Die schwedische Musikförderung ist dabei ein Zuschußmodell, bei dem immer auch ein Eigenanteil (meist 50%) aufgebracht werden muss. Es existieren verschiedene Kategorien, in denen sich Kulturschaffende für Förderungen bewerben können:

  1. Bandförderung: Förderung für Aktivitäten, die für eine Band notwendig sind, um ein Publikum zu erreichen. (Das wird von den Schweden sehr allgemein formuliert, weil auch Marketingkonzepte dazuzählen.)
  2. Labelförderung: projektbezogene Förderung für einzelne Veröffentlichungen. Alternativ ist auch eine dreijährige Geschäftsunterstützung möglich.
  3. Tourförderung: projektbezogener Zuschuß für nationale oder internationale Touren.
  4. Förderung für Konzertveranstalter: entweder projektbezogen oder als längerfristiger Unternehmenszuschuß.
  5. Förderung nach regionalen Aspekten: Der Kulturrat fördert nicht nur Musik, sondern alle Formen kultureller Aktivität und ist dabei angehalten, seine Mittel regional fair zu verteilen, bzw. strukturschwache Region zu fördern. Dabei ist es allerdings irrelevant, ob beispielsweise ein Literaturcafe oder ein Metallabel die Förderung erhält.

Aktuelle schwedische Bands profitieren davon durchaus. Das Göteborger Duo The Knife, international bekannt für seinen experimentell-düsteren Electropop, erhielt beispielsweise für das erste Album eine Förderung über 45 000 Schwedische Kronen (ca. 4400 Euro), und später noch einmal 80 000 SEK (7800 Euro) für seine bis dato einzige US-Tournee. Dennoch nennt auch The Knifes Olof Dreijer nicht die Musikförderung selbst als Grund für den Erfolg schwedischer Bands: „‚I think Swedish people are very good at copying‘, he earnestly remarks ‚We also have a public music school that is quite good, and a fairly good social service system, where you can get money from the state to make music and not work. I think these three things are my political reasons for why good music is coming out of Sweden.'“ Erneut tauchen also hier die kommunalen Musikschulen auf, Dreijer verweist zudem auf das großzügige schwedische Sozialsystem. Was durchaus einleuchtet, denn das schwedische Fördersystem soll den Lebensunterhalt ja nicht ersetzen, sondern nur punktuell projektbezogen unterstützen, um bei gleichzeitiger Eigenleistung beispielsweise ein professionelles Studio oder einen Videoclip bezahlen zu können.

Sozialstaat made me do it: Die Kunst von The Knife

Ist die Musikförderung also Ursprung der blühenden schwedischen Musikszene? Nein, offensichtlich ist die Realität deutlich komplexer. Es scheint vielmehr eine Kombination der erstgenannten Aspekte Motor der Entwicklung gewesen zu sein: aus einer Tradition des gemeinsamen Musizierens, womöglich geboren aus der tristen Länge skandinavischer Winter, entsteht der von der schwedischen Regierung geförderte, kostenlose Musikunterricht, der als Mittel zur gesellschaftlichen Teilhabe verstanden wird. Dadurch verfügt Schweden eher zufälligerweise in der Breite über viele kompetente Musiker wie auch die Tradition, gemeinsam Musik zu machen, und als dann durch den Erfolg von ABBA die Ära der modernen Popmusik anbricht, gibt es für die Schweden kein Halten mehr. Die Musikförderung hingegen als relativ junger Ansatz unterstützt lediglich bereits Bestehendes, aber die Wurzel schwedischer Musikerfolge ist sie nicht.

MUSIK ALS KULTURPOLITISCHES INSTRUMENT

Auch der anfangs bereits skizzierte Problemaspekt der politischen Instrumentalisierung bewahrheitet sich durchaus. „Dieses Stipendium soll eine breite Palette von künstlerisch und kulturpolitisch wertvollen Musikveröffentlichungen fördern“ heißt es auf den Webseiten des schwedischen Kulturrates. Jenseits der Einschätzung musikalischer Qualität wird eine Reihe kulturpolitischer Anforderungen festgelegt:

  • Innovation und Entwicklung
  • Regionale Ausgeglichenheit
  • Kinder- und Jugendförderung
  • Diversität: Vielfalt, Gleichstellung, LGBTQ und Barrierefreiheit

Auch das Musicboard Berlin hat dahingehend recht spezifische Vorstellungen: „Bei den Förderentscheidungen wird in besonderem Maße darauf geachtet, dass geförderte Projekte die soziale und kulturelle Diversität der Berliner Musikszene abbilden. Das Musicboard legt einen Schwerpunkt auf die Förderung von Frauen* und BIPOC in der Popkultur sowie auf die Stärkung der LGBTQI+ Szene. Bei der programmatischen Ausrichtung der Projekte ist insbesondere auf eine mindestens 50/50 Beteiligung von Künstler*innen (z.B. Booking, Workshopleitung, Kulturschaffende/Musikschaffende) zu achten.“

Das aber sind natürlich jeweils Kriterien, die mit der Frage nach musikalischer Relevanz, nach Innovation oder möglichem musikalischem Erfolg im Kern überhaupt nichts zu tun haben. Stattdessen bestätigt sich die Vermutung, daß eine staatliche Musikförderung nur bedingt über Musik an sich nachdenkt, sondern primär über die Beeinflussung gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen. Weder der schwedische Kulturrat noch das Musikboard Berlin fördern Musik um der Musik willen. Denn auch die vielgepriesene, schwedische Musikförderung hat einen kulturpolitischen Hintergrund: die kostenlosen, kommunalen Musikschulen wurden im Schweden der 40er Jahre nicht etwa aus selbstloser Liebe zur Musik eingeführt, sondern aus der erzkonservativen Ambition heraus, die traditionelle, schwedische Musik gegenüber der damals immer populärer werdenden angloamerikanischen Musik zu bewahren.

Daß diese Musikschulen letztlich dem Entstehen der schwedischen Pop- und Rockmusik dienten, war also keine Absicht, sondern ein Unfall, der ursprünglichen politischen Intention geradezu entgegengesetzt. Und auch wenn der Zeitgeist einem steten Wandel unterliegt, so verändert die Denkart in den Politikerköpfen sich nicht wesentlich. Auch die Verantwortlichen des Musicboard Berlin haben nicht das Ziel, Musik um der Musik willen zu unterstützen, sondern betrachten sie als politisches Mittel, um gesellschaftliche Entwicklungen zu fördern. Nicht das beste Konzept wird unterstützt, sondern das Konzept, das im Sinne zeitgenössischer identitätspolitischer Ansätze die Sichtbarkeit gesellschaftlich marginalisierter Gruppen erhöht.

Dabei ist der Korridor des staatlich Förderbaren in den letzten Jahren noch einmal deutlich schmäler geworden. Erst unlängst verkündete die BBC, daß sie den bei den Briten beliebtesten Weihnachtssong, „The Fairytale Of New York“ der Folkpunk-Band The Pogues künftig nur noch zensiert spielen wird, da er abwertende Begriffe wie „slut“ oder „faggot“ enthält. In unseren westlichen Gesellschaften werden, nach den eher freigeistigen 80ern und 90ern, zunehmend wieder moralische Aspekte diskutiert, das schließt auch den Wunsch ein, daß die Musik als gesellschaftlich wirksames Medium Vorbildfunktion erfüllt. Interessanter, als die Frage nach dem Geförderten, ist in diesem Zusammenhang also möglicherweise die Frage nach dem Nicht-Geförderten. Vielleicht sind es gerade die Leerstellen, die Auskunft über potentielle „Scheren im Kopf“, bzw. die Vorlieben und Vorgaben der Förderer geben. Denn neben Techno hat Berlin ja aktuell bereits seinen überregional erfolgreichen Signature-Sound: den Deutschrap, der sich während der 00er Jahre im Umfeld des Plattenlabels Aggro Berlin etabliert hat und bis heute die Charts und die Playlists der bundesdeutschen Jugend beherrscht. Doch bekanntlich singen diese Rapper gerade nicht über Diversität, Barrierefreiheit und respektvolles Miteinander, sondern auf so enthusiastische wie kritikwürdige Weise über Drogen, Sex, Gewalt und Kriminalität. Das alte Schema der Rockmusik also: die Teenager lieben es, die Politiker hassen es, die Welt hat sich in diesem Sinn nur wenig seit den 40er Jahren verändert.

Der charakteristische Berliner Rap hat es schwer bei der Musikförderung.

Doch gerade dieser erfolgreiche Stil findet im Förderkatalog des Musicboard kaum statt. Metal sucht man völlig vergebens, auch Rockbands sind außerordentlich spärlich gesäht. Wen wir stattdessen als Förderbegünstigten kennenlernen, ist beispielsweise Wolf & Moon, ein deutsch-niederländisches Künstlerpaar, das „luftigen und tanzbaren“ Dream Pop spielt, auf den „feinsinnigen Art Pop“ der androgynen Ariana Zustra oder auf Enyang Ha, eine koreanische Liveperformerin, die durch „modulare Klangsynthesen“ „hybride und technoide Popmusik“ erzeugt. Die Liste ließe sich verlängern. Es handelt sich dabei, kurz gesagt, um Feuilletonisten-Musik, Musik für Musikkritiker, weniger für Hörer. Die Berliner Musikförderung bildet in diesem Sinn gerade nicht die reale Diversität der Berliner Musikszene ab, sondern den Geschmack der Jury-Mitglieder, bzw. die akademische Vorstellung dessen, wie „moderne, zeitgenössische Popmusik“ idealerweise auszusehen hätte. Das Extreme, Finstere, Geschmacklose, Provokante, also gerade die Bereiche, in denen oft die Anfänge junger, innovativer Künstler liegen, wird dagegen nicht abgebildet. In gewisser Weise, blättert man durch die Liste der Geförderten, nimmt der guterzogene Künstlerzoo als Prestigeprojekt der politischen Eliten hier bereits Gestalt an. Die tatsächliche Musik der Jugend wird dagegen andernorts und ohne Chance auf Förderung produziert, denn gerade das, was sie erfolgreich und anziehend für die pubertierende Jugend macht, die rohe Sprache, die Verachtung der bürgerlichen Ordnung und ihrer moralischen Werte, verunmöglicht gleichzeitig ihre Förderung.

EIN MODELL FÜR LEIPZIG

Was bleibt nun als Fazit, mit welchen Konzepten könnte die lokale Leipziger Musikszene tatsächlich unterstützt werden? Viele Texte der letzten Jahre schwören auf die Form der Förderung, die Schweden betreibt und auch in Berlin 2013 etabliert wurde. Eine genauere Recherche fördert aber ein komplexeres Bild zutage. Weniger die projekt- und geldorientierte Musikförderung ist es, die eine lebendige Musikszene ermöglicht. Vielmehr sind es infrastrukturelle Freiräume, Möglichkeiten und Nischen, die Jugendlichen die Möglichkeit geben, sich frei und ungezwungen selbst auszuprobieren. „Anders Fridén, Sänger von In Flames, betont zum Beispiel die Rolle des kleinen Göteborger Klubs Valvet, der von einer gemeinnützigen Organisation geleitet wurde und ihnen überhaupt erst die Möglichkeit gab, regelmäßig vor Publikum zu spielen. Nur so konnten sie in den kommenden Jahren mit Dark Tranquillity und At The Gates – beide ebenfalls aus Göteborg – den weltbekannten Göteborger Metal prägen und gemeinsam den Melodic Death Metal ins Leben rufen. Ähnlich äußerte sich auch At The Gates-Gitarrist Martin Larsson: ‚Was damals wirklich geholfen hat, war die städtische Unterstützung mit Proberäumen und Musikstunden.‘ Es werde oft vergessen, was für eine wichtige Rolle der Staat bei der Entwicklung der Göteborger Metalszene gespielt hat.“(https://www.nordovermagazine.de/leben/kultur/metal-musik-skandinavien/ )

Der Göteborger Melodic Death Metal: der Staat schuf die Rahmenbedingungen dafür.

Einfache Möglichkeiten ein Instrument zu erlernen, kostenlos gebrauchte Instrumente mieten, Proberäume, Jugendzentren als Möglichkeiten zur Vernetzung, zum Austausch und als Podium für die ersten eigenen Auftritte: sinnvoll ist wohl vor allem das Schaffen von Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich Kreativität entfalten kann. Falls die Leipziger Lokalpolitik das beherzigt, kann sie möglicherweise punktuell soziale Räume, Möglichkeiten, strukturelle Schneisen erzeugen, die es Jugendlichen erlauben, sich auf niedrigschwellige, ungezwungene Weise mit Musik zu beschäftigen. Immer in dem Wissen, daß nicht das Ergebnis ausschlaggebend sein muss, in dem Bewußtsein, daß wahrscheinlich 90% der damit Geförderten niemals ernsthaft Musik betreiben werden, sondern in der Regel nur nach einer guten Zeit suchen oder sich nur auf potentiell geschmacklose, pubertäre Weise austoben wollen. Denn nur so entsteht ein Ort, eine offene Sphäre, an der die echte Innovation möglich wird, für die paar Wenigen, in deren Köpfen vielleicht die Musik von morgen schlummert.

Bild: Paulette Wooten / unsplash.com

Hinterlasse eine Antwort

Deine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.