Das neue Stadtquartier am Lindenauer Hafen
Im Januar 2013 wurde der Bebauungsplan 359 im Leipziger Rathaus öffentlich ausgelegt. Mit ihm sollte auf der Brachfläche des Lindenauer Hafens ein neues Stadtquartier entstehen. Mitte 2018 war der erste Bauabschnitt weitgehend fertig.
Im Mai 1938 erfolgte der erste Spatenstich zum Großprojekt Hafen. Der kriegsbedingt unvollendete Bau verschaffte der Messestadt nicht den lang ersehnten Anschluss an die Weltmeere. Doch für beinahe acht Jahrzehnte hatte Leipzig mit einem Hafen auf dem Trockenen ein bauliches Kuriosum aufzuweisen.
Mit den markanten Speichergebäuden und einem Betriebsteil des Baukombinats verblieb der Hafen als lokaler Industriestandort. Seit den wirtschaftlichen Umbrüchen der 1990er Jahre lag das Areal weitgehend brach. Versuche zur Wiederbelebung gab es einige. Doch die Bemühungen als Standort der Internationalen Gartenbauausstellung scheiterten ebenso wie die Bewerbung um die Olympischen Sommerspiele 2012, die den Lindenauer Hafen als Standort des Olympischen Dorfes vorsah.
Tatsachen geschaffen
Während der hochfliegenden Olympia-Pläne schuf man auf dem Areal bereits Baufreiheit. Als das IOK im Mai 2004 Leipzig von der Liste der Kandidatenstädte strich, blieb das Gelände im Visier der Planer, bot es doch einen attraktiven Rahmen zur notwendig gewordenen Stadterweiterung. Im August 2011 erfolgte medienwirksam der erste Spatenstich zur Entwicklung des Geländes. Seit März 2014 konnte die Vermarktung des Areals mit einer Hafenstraße unterstützt werden. Vorangegangen war eine kontroverse Debatte im Stadtrat wegen der negativen Ausstrahlung der Namensvettern in Hamburg und beim Brettspiel Monopoly.
Die städtische Lage, gewachsenes Grün und die Nähe zum Wasser gaben drei wichtige Faktoren für die Exklusivität des Standorts. Entsprechend ambitioniert fielen die Entwürfe der Architekturbüros aus. Gern zitierte Versatzstücke exklusiver Urbanität wie Promenade, Marina, Wohnpark oder Stadtvillen machten die Runde. Der Lindenauer Hafen sollte das größte Neubau-Gebiet seit der Wende werden. Lebendig und durchmischt, selbstverständlich auch verkehrsberuhigt und ökologisch nachhaltig.
Sein und Schein
Die Umsetzung fiel dann ein wenig bescheidener aus, was nicht unbedingt als Verlust zu werten ist. Unter anderem wurden eine großzügig eingeplante Freitreppe, eine Brücke und ein leicht überdimensioniertes Wendebecken gestrichen. Auch die Eingriffe in die naturnahe Westseite des Ufergeländes entfielen. Immerhin erhielt der Hafen mit der Anbindung an den Karl-Heine-Kanal Anfang 2015 seinen Wasseranschluss. Im Juni 2016 schließlich erfolgte die feierliche Grundsteinlegung für das „Multifunktionale Stadtquartier“. Verschiedene Investoren teilten sich in die neun Baulose, unterstützt durch die EU-Fonds Jessica und Stadtumbau Ost. Geplant war ein Mix aus selbstgenutzten Eigenheimen, Miet- und Eigentumswohnungen, insgesamt 470 Einheiten.
Nach weiteren Spatenstichen und Richtfesten wurden die ersten neuen Quartiere im April 2017 bezogen. Während Immobilienvermarkter die schlichte Eleganz und gehobene Innenausstattung preisen, sprechen die notorischen Kritiker von Betonklötzen und eintöniger Sterilität. In der Tat entspricht das neue Hafenviertel mit seinen eng stehenden Betonquadern ziemlich genau dem, was der Leipziger Architekturhistoriker und -kritiker Arnold Bartetzky einmal als “Neue Schäbigkeit” beschrieb.
Indessen bestimmen die Äußerlichkeiten nicht die inneren Werte. Mit der modernen Singlewohnung im Hafentorquartier für 14 Euro kalt kann die Grünauer Einraumwohnung für 6,70 Euro warm kaum mithalten. Ob das Hafenquartier als erstes großflächiges Baugebiet Schule macht, bleibt abzuwarten. Am Bayerischen Bahnhof und am Freiladebahnhof in Eutritzsch stehen derzeit zwei Mega-Projekte für neue Stadtteile an, die mehr als doppelt so groß wie Leipzigs historische Innenstadt sind. Bleibt zu hoffen, dass es nicht bei städtebaulichen Lösungen von der Stange bleibt.
Fotos: Redaktion EinDruck
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