Der Spagat zwischen Bulldogge und Betriebskostenabrechnung
Ein Interview mit Michael Sperlich, dem Geschäftsführer des Tierheims Leipzig Breitenfeld
Man merkt, diesem Mann liegt etwas schwer am Herzen. Herr Sperlich, seit fast 13 Jahren Vereinsgeschäftsführer des Tierheimes in Leipzig Breitenfeld, kommt schnell auf den Punkt. Wir haben uns kaum vorgestellt, schon sprudelt es aus ihm heraus. Das Thema lautet „Chico“, der Hund um den sich die Meinungen Land auf Land ab seit einiger Zeit über- schlagen haben. Wie geht man mit einem Hund um, der seinen 27-jährigen Halter und dessen 52-jährige Mutter totgebissen hat?
Michael Sperlich mahnt an, dass Hunde auf einen Entzug der Sozialressource, also der menschlichen Zuneigung, mit Eifersucht reagieren können. Besonders wenn das soziale Gefüge unklar ist. Hunde die keinen Kontakt zu Artgenossen haben, aus welchen Gründen auch immer, verfügen über einen sehr intensiven Bezug zum Menschen. Wenn dieses gestört wird, kann der Hund schnell die Fassung verlieren. Er hat aber auch eine Vorstellung, wie man das Verhältnis zwischen Tier und Mensch angenehmer und sicherer gestalten kann, für beide Seiten: „Wir müssen aufklären und von vornherein daran arbeiten, das Verhältnis zwischen Mensch und Haustier zu verbessern. Wir müssen uns bewusst machen, dass auch die Haustierhaltung kein grundgesetzlich verbrieftes Recht ist. Das Tierschutzgesetz hat eigentlich ganz deutliche Richtlinien. Man muss die Voraussetzungen haben. Das bedeutet, man muss die räumlichen Grundlagen haben, die zeitlichen und auch die finanziellen. Das nächste ganz große Problem sind die Tierarztkosten. Nicht die Futterkosten, das ist kein Thema. Deswegen gehen die Tiertafeln völlig am Thema vorbei, man hört auch so gut wie nichts mehr davon.“.
Damit bezieht er sich auf den Grundgedanken des 1875 gegründeten Tierheimes, damals unter dem Namen „Leipziger Tierschutzverein Protektor seine Majestät König Georg von Sachsen“. Schon bei der Gründung war der Zweck dieser Einrichtung, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, Tierquälerei entgegenzuwirken. Zu der damaligen Zeit lag der Fokus auf dem Kampf gegen die Vivisektion, ein operativer Eingriff am lebenden, nicht betäubten Tier. Mit der heutigen Anlage betreibt der Tierschutzverein Leipzig e.V., der rund 800 Mitglieder zählt, dass kapazitätsmäßig größte und modernste Tierheim in Sachsen. Es ist im Grunde ein Unternehmen wie jedes andere auch, nur mit ein paar Sonderregelungen bei Versteuerungen. Die Immobilie, auf dem Gelände einer ehemaligen Militäranlage der NVA, gehört der Stadt Leipzig. Als Vereinsgeschäftsführer trägt Herr Sperlich die Verantwortung und leitet die Geschicke des Tierheimes. Er fügt hinzu: „Der Verdienst ist nicht sehr hoch, die Arbeit nicht immer angenehm aber der Inhalt ist sehr erfüllend.“.
Das Ehrenamt als Auslaufmodell
Im Tierheim Leipzig arbeitet ein handverlesener Kreis von Ehrenamtlichen. Diese besondere Auswahl ist auch notwendig. Das Risiko, sich im Umgang mit den Tieren zu verletzen ist sehr hoch und die Haftung liegt am Ende bei dem Tierheim. Herr Sperlich beklagt vor allem die fehlende Nachhaltigkeit bei einigen Anwärtern für dieses Ehrenamt. Die Qualifikationen sind oft nicht ausreichend. Auch wenn man es als Helfer nur gut meint, kann man schnell zum Hindernis statt zur ersehnten Hilfe werden. Hier ist neben der Bereitschaft zur kostenlosen Zeitaufwendung auch eine gewisse Kritikfähigkeit gefragt. Denn gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.
Menschliches Denken kontra artgerechte Tierhaltung
Dass jahrelange Erfahrung mit Tieren und sogar das aktive Mitwirken im Tierschutz nicht immer vor Fehlern schützt, veranschaulicht Herr Sperlich an einem Beispiel. Es geht um eine Dame, die für ihre weibliche Landschildkröte einen Lebensgefährten aus dem Tierheim holen wollte. Denn niemand ist gerne allein, das wissen wir aus eigener Erfahrung. Im Falle einer weiblichen Landschildkröte würde das Single-Leben aber eine Lebensbereicherung oder sogar Lebensgarantie bedeuten. Männliche Schildträger legen für ihre Geliebte sehr lange Wege zurück, dabei spielen Hindernisse kaum eine Rolle. Was auf den ersten Blick total romantisch klingt, ist ein unstillbares sexuelles Verlangen der Männchen. Wenn man also beide Geschlechter zusammensperrt, kann es zu einem so hohen Stress für das Weibchen werden, dass es an den sterben kann. Am Ende gäbe es einen Todesfall und der Partner wieder alleine. Win-win sieht anders aus. An dieser Stelle hat Herr Sperlich eine klare Vorstellung: „Es wäre gut, wenn jeder der ein Tier hat, sich wenigstens einen Tag mal in eine kundige Stelle setzen müsste. Ich meine, viel kann man in acht Stunden nicht erreichen. Aber zumindest die Leute für Probleme sensibilisieren. Man muss lernen aus der Sicht des Tieres zu denken. Dazu braucht man viele Informationen über das Wesen, das man halten will.“.
Die Schmuckschildkröte oder: „Aussehen ist nicht alles“
Wer jetzt denkt, dass Schildkröten kaum eine Rolle in Tierheimen spielen, der irrt sich leider gewaltig. Die Rot- bzw. Gelbwangen und Gelbbauchschmuckschildkröten sind die am häufigsten abgegebenen Tiere im Breitenfelder Tierheim. Vermitteln lassen sie sich aber nicht. Das verbietet eine EU-Verordnung, welche ein Abgabeverbot an und von Auffangstationen oder Privatpersonen vorsieht. Die Tiere dürfen auch nicht in freier Wildbahn leben, da es sich um eine invasive Art, also einen Faunenverfälscher handelt. Wenn jemand das Veterinäramt oder einen Mitarbeiter des Tierheimes ruft, dann sind dieser Einrichtung die Hände gebunden. Sie dürfen diese Schildkrötenart laut EU-Verordnung nicht einmal transportieren. Für so eine unlogische Gesetzgebung hat Herr Sperlich auch keine Erklärung. Die hohe Lebenserwartung von 150 Jahren, macht es den Beteiligten nicht einfacher. Es gibt Lösungsansätze für dieses Problem aber noch keine Einigung. Herr Sperlich meint dazu: „Auch das beste Tierheim der Welt kann immer nur eine Notlösung sein und ist nie wirklich artgerecht. Tierheime sind dafür gedacht, zeitlich befristet zu verwahren. Herr Sperlich sieht bei den Reptilien ein riesiges Problem: „Die will überhaupt kein Mensch haben. Ich habe einen Antrag bei der Stadt gestellt, so dass wir endlich die Einrichtung ausbauen und zooähnliche Bedingungen schaffen können. Die Tiere sind über sehr viele Jahre bei uns. Ich habe eine kalifornische Schnappschildkröte aufgenommen, deren private Haltung seit 2003 in Deutschland verboten ist. Keiner weiß, was mit diesem Tier werden soll.“
Vermittlung ist Chefsache
Einen außergewöhnlichen Fall, mit unfassbaren 108 abgegeben Reptilien, gab es im Jahr 2015. Darunter waren 48 Vogelspinnen, diverese Schlangen und unter Anderem Trugnattern, welche giftig sind. Da kaum Stellen zur Abgabe vorhanden sind und die Haltung mit sehr großem Aufwand verbunden ist, machte sich Herr Sperlich selber auf die Suche nach einem geeigneten Abnehmer. Und er wurde tatsächlich fündig. Um die Tiere zu vermitteln, fuhr er mit seinem eigenen PKW von Leipzig nach Bonn. Das Tierheim ist generell daran interessiert die Tiere von privat zu privat zu vermitteln. Denn das erspart den Tieren den unnötigen Umweg über eine Auffangstation. Die Verantwortung ist hier besonders groß, deswegen werden Tiere auf der eigenen Homepage nur von Privathaltern angeboten, die den Mitarbeitern des Tierheims auch bekannt sind. Das Tierheim unterliegt nämlich der Maklerhaftung. Das heißt, sie garantieren bei der Übergabe des Tieres für Gesundheit, die Folgekosten und mit einem durchgeführten Verhaltenstest auch für die Eignung als Haustier. Herr Sperlich dazu: „Ich habe sehr großen Respekt vor meiner Verantwortung als Vereinsgeschäftsführer. Unter dem Motto “Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“, habe ich gefühlt immer die Staatsanwaltschaft im Nacken.“
Ich hätte gerne eine Person pro Meter, bitte.
Wenn wir schon beim Thema Reptilien sind, die Schlangen sind auch Sorgenkinder des Tierheims. Dabei sind es die Weibchen, die am meisten Probleme bereiten. Die Ursache liegt in der Größe der Tiere. Die Weibchen werden um einiges größer als die Männchen. Eine 4,5 Meter lange und 35 Kilogramm schwere Schlange ist keine Seltenheit. Diese Tiere legen sich in ihrem Habitat, also ihrem natürlichen Lebensraum, auch mal mit einem Alligator an. Man kann sich das wie einen 35 Kilogramm schweren Muskel vorstellen und wenn er einmal aktiviert wird, zerquetscht er alles was sich zwischen der schuppigen Haut befindet. Richtig anschaulich wird es durch die Vorschriften im Umgang mit großen Würgeschlangen. Bei einer ärztlichen Untersuchung ist es Vorgabe, pro Meter Schlange eine Person zur Fixierung bereit zu stellen. Das bedeutet, dass man bei einer 4,5 Meter langen Schlange fünf Mitarbeiter benötigt. Die stärkste Person sollte dabei am Schwanz eingesetzt werden, dort hat die Schlange die größte Kraft. Spätestens hier wird auch klar, dass diese Arbeit nur von Menschen mit sehr viel Erfahrung durchführt werden sollte. Hier ist kein großer Platz für ein Ehrenamt. Jeder Fehler könnte am Ende fatale Folgen haben. Das erstaunliche an der ganzen Problematik ist, dass im Gegensatz zu den kleineren Artgenossen, die großen Schlangen noch harmlos sind. Denn die jungen und kleinen Schlangen sind beissaggressiver. Das Handling einer 3 Meter langen Python ist nach Herr Sperlichs Erfahrung einfacher, als das einer halb so langen Teppichpython.
Digitale Parallelwelten
Die digitale Welt ist ein Spiegel unserer Gesellschaft und der Konsum ist deren Gott. Ebay ist bekannt geworden durch den sicheren und bequemen Einkauf im Internet. Für viele Tiere ist es aber selten sicher oder bequem. Sie werden teilweise unkontrolliert hin und her geschoben. Es gibt oft keine Kontrolle mehr. Wie oft werden Tiere vermittelt? Welche Krankheiten haben sie? Welche charakterlichen Besonderheiten liegen vor? Das Tierheim hat früher zumindest noch diese Funktion übernommen und die Käufer informiert. Sie schauen genau hin und entscheiden dann ob der potentielle Halter auch geeignet ist. Der digitale Sumpf flutet den Markt mit jungen „Auslandshunden“, vor allem fallen südländische Importe auf.
Wenn früher im Tierheim Welpen abgegeben wurden, standen die Leute Schlange um sich zu bewerben. Das Tierheim spürt den heutigen Onlinetrend deutlich an den fehlenden Vermittlungseinnahmen. Man kann davon reden, dass im Tierheim der absolute Bestand an Tieren abnimmt, proportional aber auch die Nachfrage. Herr Sperlich sagt dazu: „Die Tiere sind nun länger da und werden auch immer kostenintensiver. Insgesamt ist ein Tierabgaberückgang um circa 40% zu verzeichnen, aber multiple Probleme wie zum Beispiel Hautpilze oder Allergien machen die Kostenersparnis wieder wett. Es stellt sich oft die Frage, ob es überhaupt eine Behandlungsmöglichkeit gibt. Man muss individuell für jedes Tier schauen, ob es unter Tierheimbedingungen gehalten werden kann. Wir arbeiten in Extremfällen mit Pflegestellen zusammen und auch anderen Institutionen, zum Beispiel dem Hundealtersheim. Es gibt auch Vereinsmitglieder, die immer so ein kleines Rudel “Lazaruse“ haben.“ Großen Dank hat er besonders für einen Kollegen übrig: „Ein Extrembeispiel ist Chefarzt Dr. Hirsch, der auch die Möglichkeiten dafür hat. Er setzt sich fast bis zur Selbstaufgabe mit seiner Frau für die Hunde ein. Er ist einer der alles macht und immer mal wieder so einen kleinen Lazarus zu sich nimmt.“.
Facebook? Eher Hatebook!
Bei meinen Recherchen über das Leipziger Tierheim, ist mir immer wieder aufgefallen wie die Meinungen weit auseinandergehen. Augenscheinlich liebt oder hasst man es. Schnell kam bei mir die Frage auf, wie solch extrem unterschiedliche Meinungen entstanden sind. Ich, für meinen Teil, habe einen positiven Eindruck von dem Tierheim erhalten. Auf meine Nachfrage macht Herr Sperlich klar, dass er die Personen ganz gut kennt, die den ganzen Tag “schmieren“. Er sagt: „Hier wird in Gruppen organisiert und selbst Geschichten immer wieder publik gemacht, die eigentlich einer gerichtlichen Unterlassung unterliegen. Uns sind dabei die Hände gebunden. Der Kampf gegen die üble Nachrede gleicht einem juristischen Marathon. Und viel schlimmer, wenn der Schaden einmal da ist, kann man nichts mehr dagegen unternehmen. Eine Wiedergutmachung ist kaum möglich.“ Ihn betreffe das nicht nur als Person, auch seine Mitarbeiter und künftige Bewerber leiden darunter. Die Fronten haben sich verhärtet, sind meist auch aus persönlichen Enttäuschungen gewachsen. Eine sachliche Diskussion scheint dabei nicht möglich zu sein, zu hochgekocht sind die Emotionen. So wurde wohl der Rücktritt von der Amtsleiterin des Veterinäramtes Leipzig, der Rücktritt des Dr. Achterberg, Leiter der Tierschutzlandesdirektion Leipzig, der Rücktritt des Präsidenten des deutschen Tierschutzbundes, Hr. Schröder, und die Kündigung von Herr Sperlich in einem einzigen Aufruf gefordert. Also ein Streufeuer, bei dem sich vermuten lässt: Hier geht es nicht um Fakten, sondern um eine persönliche Fehde. Auslöser war in diesem Fall der privat abgegebene Hund „Max“, der von Lettland über zwei verschiedenen Privatpersonen ins Tierheim kam. Der Kläger war der Meinung, dass dieser Hund nicht vermittelt werden darf. Am Ende hat er die Klage zurückgezogen, mit Übernahme der gesamten Kosten. Aber wirklich abgefunden hat er sich damit anscheinend nicht.
Eine haarige Mitgliederversammlung
Im Jahr 2004 gab es eine der heftigsten und schwersten Mitgliederversammlungen der Vereinsgeschichte. Es ging um einen im Verein mehrheitlich beschlossenen Sachkundenachweis, der den Umgang mit Hunden regeln sollte. Jede Person musste diesen Nachweis ablegen, ohne Ausnahme. Grund für diesen Schritt waren vermehrte Beiß-Vorfälle, meist ausgelöst durch fehlende Sachkenntnis seitens der Hundeführer. In der Folge hatten 300 Mitglieder diesen erfolgreich abgelegt und die Vorfälle waren stark rückläufig. Wegen dieser Entscheidung sind 2005, im Jahr der Umsetzung dieser neuen Verordnung, 80 Mitglieder aus dem Verein ausgetreten. Diesen Sachkundenachweis gibt es heute immer noch, um Gefahren im Umgang mit den sensiblen Tieren möglichst auszuschließen. Dieser Lehrgang dauert ein Wochenende und kostet 25,00 Euro. Die Mitgliedschaft im Ersten Freien Tierschutzverein Leipzig und Umgebung e.V. ist Teilnahmevoraussetzung.
Kein Katzensprung aber eine Reise wert
Das Tierheim in Breitenfeld macht einen modernen und gut organisierten Eindruck. Die Tiere haben genügend Platz und werden augenscheinlich sehr gut versorgt. Besonders die Unterbringung der Samtpfoten hat mir sehr gut gefallen. Der Katzenpark ist meinen Augen eine sehr gute Idee. In diesem Freigehege können die Tiere sich in vielen kleinen Hütten verstecken, klettern und mit Artgenossen kuscheln. Es ist so artgerecht umgesetzt, dass man sich für die Fellnasen schon ein wenig freuen kann. Bei individuellen Anliegen war bei meinem Besuch immer Personal in der Nähe um freundlich Auskunft zu den Fragen zu geben, die einem unwillkürlich durch den Kopf schießen.
Als Problem erweist sich die Erreichbarkeit des Tierheimes. Sie ist die Achillesverse bei der Vermittlung. Es ist etwas kompliziert das Tierheim zu erreichen, besonders für ältere Menschen und für Besucher die kein Auto zur Verfügung haben. Die leider kurze Besuchszeit von 15 bis 17 Uhr von Mittwoch bis Sonntag, machte die abenteuerliche Reise mit dem Bus für mich nicht einfacher. Wenn Sie etwas Zeit zur Verfügung haben und Tieren gerne etwas Aufmerksamkeit und Beachtung schenken wollen, dann sind sie im Tierheim Breitenfeld sehr gern gesehen. Vielleicht springt ja auch der ein oder andere Funke über und es wird der Beginn einer neuen gemeinsamen Freundschaft. Das nenne ich win-win.
Wer sich jetzt die Frage stellt, wie man dem Tierheim helfen kann, hier eine Auflistung:
Ein sehr gelungener Beitrag. Ohne das Tierheim schon mal besucht zu haben, kann ich mir gut vorstellen, was mich bei meinem Besuch erwartet. Das hat mich neugierig gemacht. Sprachlich finde ich den Artikel klasse.