In Wachau, nicht unweit vom Markkleeberger See entfernt, steht eine Kirche die sich von den anderen der Region deutlich abhebt.
Der Grund dafür ist für jeden Betrachter schon aus der Ferne zu erkennen und wird umso deutlicher, je näher man dem Gebäude kommt. Schon vom Weitem fällt auf, dass die sonst übliche Spitze des Kirchturms hier nicht vorhanden ist. Auch erstaunt es, dass in der kunstvollen gestalteten Fassade der Fenster keine Scheiben sind. Doch spätestens beim Betreten des Gemäuers merkt man, dass hier nicht mehr alles ganz intakt ist. Denn betritt man die Kirche, schaut man nicht etwa auf ein reichverziertes Kirchendach sondern auf den freien Himmel und so bleibt dem Betrachter nur festzustellen, dass er sich in einer Ruine befindet.
Wer hier einen neuen, geheimen Lost Places Tipp erwartet, wird an dieser Stelle enttäuscht. Denn verlassen ist die Ruine keinesfalls. Stattdessen zieht seit Jahren wieder mehr und mehr Leben in das alte Gemäuer ein. Außerdem liegt die Besonderheit der Kirche nicht allein an in ihrer Äußerlichkeit, sondern auch daran wofür sie genutzt wird.
Eine Kirche und der Lauf der Geschichte
Die Ruine nicht schon immer eine solche war. Vielmehr stand sie einst stolz da, prachtvoll rausgeputzt – mit dem höchsten Turm der Umgebung. Schon im Jahre 1393 wird im Ort Wachau eine Kirche erwähnt, welche im Jahr 1465 eine Glocke bekam. Wie viele Orte um Leipzig war auch Wachau einer der Schauplätze der Völkerschlacht um 1813. Dabei wurde die alte Kirche so schwer in Mitleidenschaft gezogen, dass sie nicht mehr zu erhalten war.
Daher bemühte man sich lange Zeit um einen eigenen Pfarrer und eine neue Kirche. 1860 wurde einem Kirchneubau stattgegeben. Architekt der Kirche war der Leipziger Konstantin Lipsius. Der Neubau kostete die Gemeinde 49 000 Taler, eine Summe die für eine Dorfkirche in der damaligen Zeit sehr hoch war. Die Wachauer hatten nun eine neue Kirche und für einige Zeit den höchsten Turm im Leipziger Umland. Mit ehemals 65 Metern war er deutlich sichtbar in der näheren Umgebung zu erkennen.
Doch diese Höhe hatte auch ihren Preis, denn schon im Einweihungsjahr 1865 stürzten bei orkanartigen Stürmen alle vier Spitztürmchen der Kirche ein. So bleibt festzustellen, dass es auch schon vor dem Klimawandel starke Stürme gab, die mit Gottes Zorn wenig zu tun hatten.
Der Popularität des Leipziger Architekten Konstantin Lipsius, welcher die Kirche entwarf, tat dieses Malheur allerdings keinen Abbruch. Er durfte wenige Jahre später die Leitung für den Bau der Peterskirche und der Nathanaelkirche in Leipzig übernehmen und wurde einer der bekanntesten sächsischen Architekten der damaligen Zeit. Auch die Restaurierung der Thomaskirche fiel in seinen Wirkungsbereich.
Wie fast überall hinterließ der Zweite Weltkrieg seine Spuren auch in Wachau und an der Kirche des Ortes. Bei einer Explosion auf dem anliegenden Rittergut wurden Fenster und Teile des Kirchendachs zerstört. 1945 trafen amerikanische Brandbomben dann den Turm und die Sakristei. In der DDR hatten die Beseitigungen der Kirchenschäden keine oberste Priorität und so verfiel die Kirche zusehends. 1956 fand die letzte Trauung in der Kirche statt. Kirchliche Aufgaben, wie Gottesdienste, konnten nun nur noch im Gemeindehaus stattfinden. 1974 kam es zu einem weiteren Schicksalsschlag für die Wachauer Kirche. Ein Blitzeinschlag beschädigte den Kirchturm so stark das er wegen Einsturzgefahr abgerissen werden musste. Bei der Beräumung des Turmes ließen die Arbeiter leider keine große Sorgfalt walten. Die Trümmerteile wurden einfach durch das schon vorher beschädigte Kirchendach geworfen, was dieses zum Einsturz brachte. Seitdem war die Kirche dem Verfall preisgegeben.
Mit dem Mauerfall 1990 kam es nicht nur für die Wachauer Kirche zu einem Neubeginn. Die Kirche wurde beräumt und der Turm gesichert. Außerdem wurde das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt, was die Einwerbung von Fördermitteln ermöglichte. 1997 fand erstmals wieder ein Gottesdienst in der Ruine statt. 2012 gründete sich ein Verein zum Erhalt und Erneuerung der Kirchruine – seitdem ist viel passiert.
Gemeinsam mit der Landeskirche, der Kirchengemeinde und dem Förderprogramm „Leader“ der EU konnten Gelder aufgetrieben werden, die es ermöglichten das Gebäude zu sichern und zu erhalten. Auch ein barrierefreier Zugang zur Anlage wurde geschaffen.
Und was passiert aktuell so?
Seit 1997 ist es wieder möglich die Ruine für die Gemeindearbeit zu nutzen. So finden regelmäßig Sommergottesdienste und kirchliche Feste in der Kirche statt. Diese sind ein einmaliges Erlebnis und sehr zu empfehlen. Die Kirchruine ist auch außerhalb von Gottesdiensten für Besucher frei zugänglich und täglich geöffnet. Seit der Gründung des Vereins werden in der Kirche regelmäßige Veranstaltungen wie Konzerte oder Theaterstücke abgehalten. Dabei kommt es manchmal auch zu außergewöhnlichen Veranstaltungen. So findet zum Beispiel zu Pfingsten auch eine Zusammenarbeit mit dem Wave Gotik Treffen (WGT) statt. Ebenfalls zu erwähnen ist der jährliche Weihnachtsmarkt (Link zum Veranstaltungskalender). Für gemeinsame Kooperationen mit Künstler ist der Verein immer offen, allerdings sollten hier (wie auch bei allen anderen Veranstaltungen in der Kirche) die christlichen Grundwerte nicht verletzt werden.
Des Weiteren ist es möglich die Kirche auch für Taufen oder Hochzeiten zu mieten, auch Fotoshootings oder Videodrehs können abgehalten werden. Mehr dazu ist hier zu finden.
Außerdem soll der Turm einen neuen Abschluss bekommen und eine Aussichtsplattform einen fantastischen Blick aufs Neuseenland bieten.
Ein neogotisches Kleinod am Rande von Leipzig
Die Kirche in Wachau wurde im neogotischen Stil errichtet. Damit war sie in Leipzig und Umgebung nicht die Einzige aber eine der Ersten, die hier in diesem Stil erbaut wurden. In vielen Kirchen der damaligen Zeit findet sich die Bauart der Neogotik wieder.
In Leipzig sind hier zum Beispiel die Peterskirche, die Nathanaelkirche in Lindenau und die Heilandskirche in Plagwitz zu nennen, welche alle um 1880 erbaut wurden. International sind die Wiener Votivkirche, der Palace of Westminster (englisches Parlament) oder das Budapester Parlament Vorzeigeobjekt für die neugotische Architektur.
Die Neugotik, erstmals aufgekommen in England zwischen 1830 und 1900, ist wie der Name schon vermuten lässt, eine Anlehnung an die frühere Epoche der Gotik. Viele der Elemente der gotischen Architektur finden sich daher auch in der Neogotik wieder. Daher wird im folgenden sowohl die Gotik, als auch die Neogotik betrachtet werden.
Entstanden ist die gotische Architektur in Frankreich etwa 1140 in der Region Paris. Die Epoche erstreckte sich bis ins Jahr 1550, je nachdem ob man von Früh-, Hoch- oder Spätgotik redet. Die Bezeichnung Gotik entstand dabei eher als Abwertung der Kritiker über diese Baukunst. Es leitet sich vom Volksstamm der Goten ab, welche gemeinhin als Barbaren galten.Die meisten künstlerischen Leistungen kreisen in der Gotik – wie auch schon in der Romanik (1000–1175) – um den Dienst am christlichen Glauben. Das erklärt sich auch daraus, dass es sich in der Gotik um eine Epoche mit strengen christlichen Werten handelt. Mit der Neugotik wird nun versucht ein idealisiertes Mittelalterbild wiederaufleben zu lassen und auf die zeitgenössische Architektur anzuwenden. Der Symbolcharakter der gotischen Formenlehre als Bauweise allein für Gebäude des kirchlichen Gebrauchs wird dabei allerdings ignoriert. So finden sich in der Neugotik viele gotische Elemente auch an Rathäusern, Schulen, Wohngebäuden und sogar Bahnhöfen wieder.
Merkmale der Gotik und Neogotik
Viele der Merkmale, die in der Gotik eine Rolle spielen, finden sich auch in der Neugotik wieder.
Gotische und auch neogotische Kirchen sind dabei oft reich verziert, es findet sich allerlei Maßwerk und Elemente zur Dekoration. Die Gotik schafft es durch neuartige Bauweise und den geschickten Einsatz von Strebe und Bündelpfeilern, die Last des Gewölbes auf die Pfeiler statt auf die Wände zu übertragen. Das hat zwei entscheidende Vorteile. Zum einen braucht es bei dieser Bauweise keine weiteren Stützpfeiler in der Mitte der Kirche um die Decke zu stützen. Der Innenraum der Kirchen wird dadurch weitläufiger. Zum anderen werden die Wände nicht mehr für die Statik der Kirche gebraucht, so dass sie zu Dekorationszwecken genutzt werden können. Im Gegensatz zu den Kirchen früherer Epochen ist so der Einbau großer Fenster möglich und die Kirchen werden dadurch heller und lichtdurchfluteter.
Typisch für gotische Kirchen sind die Spitzbögen mit großen bunten Fenstern, die auch in der Neogotik immer wieder auftauchen. In der Wachauer Kirche finden wir diese entlang der beiden Seiten der Kirche. Abgerundet werden sie hier durch einen Dreipass am oberen Ende.
Die Kirchruine in Wachau ist eine Saalkirche, deren Innenraum nur aus einem einzigen Raum, oder auch Schiff genannt. Dabei wird sie meist nicht durch freistehende Stützen unterteilt. Diese Bauart gibt es in der Architektur zwar schon lange, allerdings war es erst zu Zeiten der Gotik möglich, dies auch bei größeren Kirchen, wie wir sie heute kennen, anzuwenden. Dies lag vor allem am verbesserten Baumaterial und den neuen baulichen Möglichkeiten.
Durch die neuen Bautechniken in der Gotik wurde es möglich, Gebäude in ungeahnte Höhen zu bauen. Das gilt sowohl für die Kirchgebäude an sich, als auch für ihre Türme. In der Neogotik wurde dieser Ansatz übernommen. So gehören die Peterskirche und die Heilandskirche in Leipzig noch heute zu den Kirchen mit den höchsten Türmen im Stadtgebiet. Auch von der Kirche in Wachau wissen wir, das sie als Riese der Umgebung weithin sichtbar war.
Ebenfalls typisch für die Epoche sind Rosetten oder Fensterrosen. Diese sind vor allem in gotischen oder neogotischen Kirchen zu finden. Allerdings gibt es hierfür schon deutlich ältere Vorbilder. Schon in der Romanik bildet sich die Fensterrose als Bauelement heraus, überregional wurde sie aber erst mit der gotischen Bauweise bekannt. Die Rosette ist ein kreisförmiges, mit Maßwerk und Glasmalereien geschmücktes Fenster. Das Muster verläuft dabei meist strahlenförmig von der Kreismitte aus. In der Kirchruine in Wachau ist diese Verzierung sowohl gegenüber des Einganges als auch über dem Eingang selbst zu erkennen.
Ein weiteres Merkmal für gotische und neogotische Bauten auf welches man einen Blick haben sollte, sind Wimpergen. Dabei handelt es sich um giebelartige Bekrönungen über Türen oder Fenstern. In der Kirchruine findet man diese direkt über der Eingangstür.
Dies sind nur einige der Merkmale und bei Weitem nicht die einzigen, auf die man achten kann, wenn man dieses besondere Monument besucht. Man sollte sich aber auf jeden Fall einen Moment Zeit nehmen und die Kirche auch aus architektonischer Sicht betrachten.Die Kirchruine ist eine Verwandlungskünstlerin und so kann je nach Wetter und Stimmung, eine ganz unterschiedliche Atmosphäre entstehen. Es war sehr schön zu sehen, mit wieviel Engagement und Herzblut der Verein dabei ist, dieses besondere Kleinod zu erhalten und einen Veranstaltungsraum für die Menschen auch außerhalb Leipzigs zu schaffen.
Hoffen wir, dass es dem Verein gelingt dies noch lange beizubehalten.
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