Der Bahnhof Leipzig-Plagwitz im Wandel der Zeiten (I)
In der Zeit seiner Entstehung bündelte der Plagwitzer Bahnhof die Lebensadern eines der europaweit modernsten Industriegebiete. Die Eisenbahn erschloss neue Absatzmärkte und ließ Entfernungen schrumpfen. Zeit seines Bestehens war der Bahnhof eng verknüpft mit der Entwicklung des gesamten Stadtteils.
Das zähe Ringen um einen Bahnanschluss für Plagwitz brachte im Jahr 1870 erste Erfolge. Davon zeugt noch heute der Knick im Verlauf der Karl-Heine-Straße hinter dem Felsenkeller. Bei der Erschließung des Leipziger Westens ging der Industriepionier Karl Heine systematisch vor. So musste auch die wichtigste Straße des Reviers einen geraden Verlauf zum Standort des Bahnhofs nehmen.
Ungeahntes Wachstum
Jahrzehnte zuvor war der Leipziger Westen um das 150-Seelen-Dorf Plagwitz ein beliebtes Ausflugsziel für Landpartien, während sich im Leipziger Norden und Osten die ersten Industriebetriebe entlang der neuen Eisenbahnlinien ansiedelten. Für die Bahnlinie von Leipzig nach Zeitz erfolgte 1871 der erste Spatenstich. Bei der Eisenbahnanbindung von Plagwitz und dem Bau des Netzes von Anschlussbahnen war Karl Heine wichtiger Finanzier und Strippenzieher im Hintergrund.
Als der erste Zug die heutige Kanalbrücke passierte, führte diese noch über eine trockene Sandgrube. Das störte auch am 20. Oktober 1873 wenig, als man die offizielle Einweihung des Bahnhofs Plagwitz-Lindenau feiern konnte. Der Doppelname kann als Programm gelten: Die Grenze der Plagwitzer und Sächsischen Flurstücke verlief quer durch das Empfangsgebäude. Betreiber der neuen Bahnlinie war die Preußische Staatseisenbahn, die den Sachsen einen nahtlosen Warenverkehr bei 2 Talern Gebühr pro Achse und Übertritt zusicherte. Auf sächsischer Seite entwickelte sich um den privaten Plagwitzer Industriebahnhof bald ein dichtes Netz von Anschlussbahnen. Ein Jahr später waren darüber bereits 37 Firmen erreichbar, ein „Transport-Comptoir“ genanntes Büro regelte den Betriebsablauf.
Hochmodern und gut vernetzt
Die Eisenbahn erschloss neue Absatzmärkte, zog weitere Industriebetriebe an und ließ bestehende wachsen. Innerhalb von zwei Jahrzehnten vervierfachte sich sowohl die Zahl der Betriebe als auch die der Beschäftigten. Zehn Jahre nach der Bahnanbindung erstreckten sich über vier Kilometer Gleise durch das Plagwitzer Industrierevier. Mehr als zwei Kilometer waren geplant oder kurz vor der Fertigstellung. Dieses Industriebahnnetz war einzigartig in Europa. Es waren Lebensadern einer neuen Industrieproduktion, der sich Architektur und Infrastruktur in allen Bereichen unterordneten.
Im Jahr 1879 band die Sächsische Staatseisenbahn den Standort mit dem Industriebahnhof Plagwitz-Lindenau über Gaschwitz an ihr Netz an. Zwickauer Steinkohle und Braunkohle aus Borna konnten nun ohne die teuren Umwege über preußische Bahnstrecken zu den Betrieben gelangen, auch in umgekehrter Richtung flossen die Warenströme günstiger. 1899, zehn Jahre nach Heines Tod, war Plagwitz-Lindenau mit einem Jahresumschlag von 739.665 Tonnen der mit Abstand größte Leipziger Güterbahnhof. Jeder sechste deutsche Großbetrieb hatte zu dieser Zeit seinen Sitz in Leipzig.
Die nächste Ausbaustufe des Plagwitzer Bahnhofs war im Jahr 1902 erreicht. Er übernahm den gesamten Güter- und Übergabeverkehr der Leipziger Westseite. Dazu erfolgte der großflächige Ausbau der Plagwitzer Bahnanlagen in westlicher und südlicher Richtung. Den notwendigen Bau der Antonienbrücke mussten sich die Bahnverwaltungen von Sachsen und Preußen teilen. Die endgültige Zusammenlegung der beiden Plagwitzer Bahnhöfe erfolgte erst im Zuge der Baumaßnahmen für den künftigen Hauptbahnhof im Jahr 1907.
Grenzen werden erreicht
Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich die kommende Stagnation bei der weiteren Entwicklung von Plagwitz bereits ab. In Engelsdorf und Wahren gingen zwei moderne und groß angelegte Rangierbahnhöfe in Betrieb. Mit dem Bau des Hauptbahnhofes und des Leipziger Güterrings ordnete man die Infrastruktur des Leipziger Eisenbahnbetriebs über bisherige Ländergrenzen hinweg grundlegend neu. Der Plagwitzer Bahnhof blieb zunächst der größte Güterbahnhof im Eisenbahn-Direktionsbezirk Halle. Er war aber vor allem eine Sammelstelle für seine Anlieger, für den überregionalen Warenverkehr hatte er kaum noch Bedeutung.
Als Beispiel für die Entwicklung der örtlichen Infrastruktur kann auch die Eisengießerei Meier & Weichelt gelten. Im Jahr 1874 startete sie als kleiner Handwerksbetrieb, der mit seinem Standort Plagwitz wuchs und nach zwei Jahren bereits über 3.000 Personen beschäftigte. Bei diesem Wachstum stieß der Betrieb bald an Grenzen. Das Areal an der Gießerstraße ließ keine Ausweitung mehr zu und zwang in den 1920er Jahren zum Umzug auf ein zehnfach größeres Gelände in Großzschocher.
Im zweiten Teil steht die Entwicklung des Plagwitzer Bahnhofs ab den 1920er Jahren im Mittelpunkt.
Der dritte Teil widmet sich dem Plagwitzer Bahnhof in der Zeit nach der politischen Wende.
Bildquelle: Redaktion EinDruck
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